Story: Orbital Supermax

Kapitel 1

Psychologie ist Krieg. Du betrittst einen Raum, manchmal weil du die Wahl hast, manchmal weil du aufgeflogen bist, medizinischen Bedarf von Med Bay zur Gefangenen-Krankenstation umgeleitet zu haben. Dann sitzt du deinem Feind gegenüber, während er versucht, in deinen Kopf einzudringen.

„Muss ich Sie daran erinnern“, fragte Cayla Wyrick, meine Psychologin, „dass diese Sitzung ein Verstoß gegen die Vereinbarung ist, die sie mit Captain Fieras getroffen haben, um Sie aus einer vier mal vier Meter Zelle herauszuhalten?“

Sie hatte einen langen Hals und ein schmales, aber hübsches Gesicht, das sie zu jedermanns liebsten zivilen Vertragspartnerin machte. Ihre blonden Locken waren kurz geschnitten. Sie war jung für eine Therapeutin, vor allem für eine hier draußen im Banshee System. „Ich verstehe nicht, warum Fieras auf diese Sitzung besteht. Ich bin Schmuggler und nicht psychisch krank.“

Sie kreuzte die Beine und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Wenn ein Schmuggler alles wäre, das Sie sind, bin ich mir sicher, er hätte Sie ganz einfach gefeuert oder in eine Zelle geworfen. Aber Sie haben eine Geschichte, nicht wahr?“

Ich nahm einen Schluck Eiswasser und stellte das Glas auf den Tisch vor mir. Da war ein großer Bildschirm hinter ihr, der eine Sternenkarte zeigte. In wenigen Stunden würde Lorona, der Planet, in dessen Lagrange-Punkt wir saßen, in der unteren linken Ecke auftauchen.

Natürlich hatte sie meine Akte gelesen und womöglich hatte sie auch die Videos der Feuerexplosion gesehen, die das Leben meines Bruders gefordert hatte. Ich ärgerte mich darüber, dass Dannys Tod so öffentlich gemacht worden war. Wären wir Minenarbeiter in irgendeinem namenlosen Asteroidengürtel gewesen, hätte sich niemand um die Details gekümmert. Aber wir waren Piloten, der beste und der zweitbeste auf der Akademie, und als er starb, hatte ich die Medaille bekommen, die seine hätte sein sollen, weil ich auf der Bestenliste immer hinter ihm stand.

Dieser Unfall entpuppte sich als eine Goldmine für die Seelenklempner, die ich in all den Jahren seit dem Unfall gesehen hatte. Alles was ich tat, wurde mit dem Hinterbliebenen-Syndrom, dem Verlorenen-Zwilling-Syndrom oder einer beliebigen Anzahl anderer Persönlichkeitsstörungen gekennzeichnet. Jetzt, da ich mit der Hand in der Keksdose erwischt worden war, überschlugen sich Fieras und Wyrick darin, es anders zu nennen als das, was es war: Ein Verbrechen aus Gier.

Ich wollte keine weitere Minute mit dieser Therapie verschwenden. Ich würde meine Zeit lieber in einer Zelle verbringen.

„Sie wissen, dass das Rouge, das sie tragen, Schmugglerware ist? Die Jungs benutzen das Pigment für ihre Gefängnis-Tatoos“, sagte ich.

„… und ich denke, wir sind fertig für heute“, erwiderte sie, tippte ein paar Tasten auf dem Pad und ließ den Bildschirm dunkel werden.

Ein kleiner Blitz, als wenn jemand ein Streichholz in einem dunklen Raum entzündet, lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Bildschirm hinter ihr. Einer der Sterne begann sich zu bewegen. Er wuchs von einem kleinen Punkt auf die Größe eines Knopflochs, nahm an Geschwindigkeit zu und schoss an der rechten oberen Ecke des Schirms aus der Sicht. Das Ganze dauerte vielleicht fünf Sekunden, aber es hat mich deutlich mehr Zeit gekostet, herauszufinden, was ich da gesehen hatte.

Ich wurde von meinem Stuhl in Richtung Wyrick katapultiert, mein Gewicht traf sie an der Schulter und warf sie mit ihrem Stuhl um. Einen Herzschlag später wurde die Station heftig durchgeschüttelt und die Lichter flackerten kurz vor dem Ausgehen. Eine Welle überhitzter Luft sprengte die Abdeckung der Klimaanlage weg und machte den Weg frei für ein Flammenmeer, das das dunkle Büro nun in alle möglichen Schattierungen von Orange hüllte. Die Notbeleuchtung an den Wänden beleuchtete den Raum schwach, so dass wir uns wieder sehen konnten.

Ich rollte mich von ihr weg und kam auf die Knie. Man muss ihr zu Gute halten, dass sie mit keinem Wort erwähnte, dass ich sie umgeworfen hatte. Stattdessen fragte sie: „ Was ist passiert?“

„Wir sind von einer Rakete getroffen worden“, antwortete ich. „Aus irgendeinem Grund haben die automatischen Verteidigungssysteme nicht reagiert, um den Angriff zu verhindern.“

Die Notbeleuchtung wechselte von rot auf gelb und blitzte in einem Muster, das zur Tür führte. Eine unaufgeregte, computergenerierte Stimme sprach von überall auf einmal. „Lieutenant Cayla Wyrick, als der höchste Offizier an Bord des Orbital Supermax-Gefängnis 4, haben Sie nun das Kommando. Bitte folgen Sie den gelben Lichtern auf das Hilfskommandodeck.”

„Lieutenant Wyrick?”, sagte ich sarkastisch zu dem Computer. „Das ist ihre Gehaltsstufe, nicht ihr Rang!” Zivile Angestellte wurden in derselben Größenordnung wie das Militär bezahlt. Wyrick war offenbar ein OS-9, das bedeutet, ihr wurde dasselbe Gehalt wie einem Leutnant gezahlt. Aber das war nicht dasselbe als tatsächlich ein Leutnant zu sein. Sie konnte keine Befehle geben oder gar gegrüßt werden. Der Computer hatte einen Fehler gemacht und es dauerte nicht lange, bis ich realisierte, was das sonst zu bedeuten hatte. Wir waren mit chirurgischer Präzision angegriffen worden. Jeder mit einem echten Rang war tot.

Wyrick warf das Pad auf ihren Schreibtisch und klopfte auf die Sternenkarte, bis es eine Karte der Station darstellte. Grüne Abschnitte waren unbeschädigt, gelb bedeutete, dass auf diesem Deck eine nicht-tödliche Lochbildung stattgefunden hatte und rot bedeutete, dass wir das Budget für das Gefängnisessen kürzen müssten. Es gab eine Menge rot.

Wyricks Finger tanzten über die Videoscreen. „Command, Technik, Med Bay… sie sind alle offline”, sagte sie. Ich trat zu ihr an den Bildschirm: ”Darf ich?” Sie starrte mich an, dann gab sie widerwillig ihren Code ein. Ohne Zeitverlust wechselte ich zurück zur Sternenkarte und zoomte so weit heraus, bis ich die Quelle der Raketen ausmachen konnte. Ich musste nicht viel scrollen, um ein kleines Freizeitschiff zu finden, das modifiziert worden war, um riesige Raketengestelle tragen zu können. Auch mehrere Kampfschiffe flogen in der Nähe in enger Formation. Ein größeres Schiff lauerte hinter ihnen, aber die begrenzte Vergrößerung der Station gab nur einen pixeligen Blick frei und ich konnte nicht genau erkennen, was es war. Plötzlich wurde das Bild von etwas so großem verdeckt, dass es noch schlimmer verpixelte. Ein Jäger vielleicht, der sehr nahe an der Station vorbeiflog. Allerdings keiner der UEE.

Ich probierte die Notfallkanäle durch, aber alles was ich hörte, war ein dumpfes statisches Rauschen auf allen Wellenlängen. Wir wurden blockiert. „Piraten. Ich weiß nicht, was sie hier wollen, aber es kann nichts Gutes sein.”

„Ist das ein Gefängnisausbruch?”, fragte Wyrick. „Vielleicht? Aber glauben Sie nicht, dass jemand, der eine kleine Flottille wert ist, sofort nach Kellog VI geflogen worden wäre?“, sagte ich, womit ich den berüchtigten Gefängnisplaneten meinte. Stationen wie OSP-4 waren zwar Gefängnisse unter Eigenverwaltung, aber auch Futterstationen und natürlich temporäre Unterkünfte für Hochrisiko-Häftlingen aus den Außenbereichen, die solange fest gehalten wurden, bis die Übergabe an Kellog VI erfolgen konnte. „Es könnte nur ein Überfall sein. Wird eine Piratenbande zu groß, wird sie sich nicht nur durch Raub der gelegentlich vorbeiziehenden Frachter tragen können. Eine Station wie diese könnte ein verlockendes Ziel darstellen. Die Gefangenen sind nur ein zusätzlicher Bonus. Oder sie sind entbehrlich, abhängig von den Launen der Piraten.”

„Aber gibt es keine Verteidigung?” „Sicher.” Als ehemaliger Quartiermeister des Gefängnisses kannte ich mich besser auf der Station aus, als alle anderen, die noch am Leben waren. Ich schaltete auf das Flugdeck. Schutt schwebte in der Luft. Eine dunkle, menschenförmige Silhouette flog träge aufgrund der geringen Schwerkraft durch das Bild. Ein schneller Scan markierte eine gezackte Beschädigung der Außenhülle. Die Dekompression war rasch und heftig gewesen, aber zwei Jäger der Station waren noch auf ihrem Landedeck.  „Sieht aus, als wären wir für einen Kampf nicht gerade gut aufgestellt.”

Eine dumpfe Vibration und dann ein dumpfer Schlag hallten durch das Deck überall um uns herum. Ich spürte, wie mein Magen wie im Aufzug von der Schwerkraft malträtiert wurde. Das ominöse Zischen der entweichenden Luft durch die Lüftungsschlitze war ein Zeichen dafür, dass wir zu viel Schaden genommen hatten, als dass die Systeme der Station es reparieren könnten und das bedeutete wiederum, dass das Atmen ziemlich schnell ziemlich schwierig werden würde.

„Wir müssen hier raus”, sagte ich. Widerwillig folgte sie mir aus der Tür auf den Flur. Der Schaden war umfangreicher, als ich gedacht hatte. Leitungen hingen wie Lianen von der Decke und sprühten Funken auf den Boden. Die Luft roch nach Ozon und verbranntem Gummi und war unangenehm heiß, als ob ein Feuer direkt vor unseren Augen wüten würde. Die Gänge, durch die wir kamen, waren leer und dunkel, außer von gelegentlichem Blitzen und Brutzeln der Verdrahtung. Der Computer leitete uns zum äußeren Kommandostand, aber ich hatte einen anderen Plan. Ich wandte mich zur Seite, um den Maximalsicherheitsblock des Gefängnisses zu erreichen.

„Was machen wir hier?”, fragte sie. Wir standen vor einer roten Metalltür mit einem Tastenfeld in der Mitte. „Die Kommunikationssysteme sind ausgefallen und das bedeutet, es gibt keine Möglichkeit für uns, ein Notsignal zu senden. Wenn wir nicht Glück haben und jemand uns einen außerplanmäßigen Gefangenentransport schickt, ist die früheste Hilfe, die wir erwarten können, in zwei Wochen hier. Hier zu warten, ist keine Option.“ Ich ließ meinen Ton bedeutungsvoll werden: „Speziell für Sie.“

Wyrick tippelte unbehaglich hin und her. „Es gibt 1600 Gefangene und zweihundert Mitarbeiter an Bord dieser Einrichtung. Wir können sie nicht zurücklassen.”

Ich unterdrückte meinen Ärger.

„Du bist eine Therapeutin und ich bin ein Quartiermeister. Keiner von uns ist ein Held. Es gibt immer noch zwei Jäger auf dem Flugdeck. Wir können sie nutzen, um aus dieser Station zu entkommen und die UEE zu warnen.” Nicht überzeugt, sah sie an der Tür hoch.

„Okay, aber was machen wir dann hier?” „Ein paar Helden besorgen”, sagte ich mit einem Grinsen. Ich hatte ein wenig herumgeschnüffelt, als ich angefangen hatte „Material zum Gewinn zu verlegen”, nur für den Fall, dass ich je ein wenig Hilfe von innen brauchen würde, um eine schnelle Flucht zu gewährleisten und jedes offizielle Dokument, das ich in meine Hände bekam, besagte, dass der Kerl, den wir im Begriff waren zu befreien, der beste Pilot an Bord dieser verdammten Station war. Er war ein Ex-Militär, so dass die meisten der Dateien, die ich gefunden hatte, geschwärzt worden waren, aber ich hatte eine Liste seiner erhaltenen Medaillen und so ziemlich die Einzige, die er nicht hatte, war die, die man für das Einfangen einer Kugel bekam.

Das Öffnen der Tür des maximalen Sicherheitsbereiches war wie das Öffnen eines Ofens. Eine Wolke überhitzter Luft drohte mein Gesicht zu verbrennen und ich sah unwillkürlich weg. Es gab keine sichtbaren Flammen im Durchgang, aber einige der Kunststoffblenden an den Wänden quollen heraus und verzogen sich. „Geben Sie mir Ihre Karte”, sagte ich. „Nylund”, sagte Wyrick: „Du kannst nicht…” Ich nickte in Richtung des Durchgangs nach unten. „Keine Sorge, ich komme wieder. Ich haue da durch nicht ab! ”

„Das ist nicht, was ich meinte”, antwortete sie, aber gab mir die Karte trotzdem. Meine Instinkte sagten mir, nicht zu gehen. Die Hitze war zu intensiv, die Luft war nicht atembar. Ich ignorierte es. Ich wäre in der Lage gewesen, einen anderen Piloten zu finden, aber dieser Kerl war der Beste und ich war davon überzeugt, dass ein Anderer uns töten würde. Ich kroch so niedrig, wie ich konnte an der gegenüberliegenden Seite der Wand entlang, aus der der Kunststoff quoll. Ich zählte zwei Türen und benutzte Wyricks Karte.

Das Panel wechselte auf grün, und die Tür glitt auf. Ich war dabei, herausfinden, für welche Art von Mensch wir unser Leben riskieren, um ihn zu befreien.

 

Kapitel 2

Das Feuer im Hochsicherheitsblock, das sich durch Kabelkanäle in der Decke verbreitete, brannte so heiß, dass die Kunststoffblenden an den Wänden begonnen hatten, zu schmelzen. Der dicke schwarze Rauch, der in den Flur gelangte, erinnerte mich an Tinte, die sich langsam im Wasser ausbreitet.

Wes Morgan, der Mann, den wir hier befreien wollten, drückte sein Gesicht nah an meines. Er hatte einen Ärmel seiner Gefängnisuniform abgerissen, ihn in seiner kleinen Spüle nass gemacht und dann über sein Gesicht gebunden. Den anderen Ärmel gab er mir. „Dort oben.” Er deutete an die Decke, „überhitzter Dampf. Und dort unten ist der chemische Rauch, der dich tötet, wenn du ihn einatmest. Bleib so niedrig wie möglich, aber nicht zu tief. ” Er drehte sich um, um weiter den Korridor entlang zu gehen.

„Wir müssen auf das Flugdeck kommen. Es ist der einzige Weg aus der Station“, sagte ich und zeigte in die Richtung, in der Cayla Wyrick auf uns wartete. Das Gefängnis war im Abriegelungsmodus und sie war die einzige Person mit den nötigen Codes, die uns dort hin bringen konnte. Wir hatten keine Zeit für Umwege. Ich war mit einer Elektroschockpistole bewaffnet, die ich von einem Schließfach außerhalb des Blocks genommen hatte und es gab immer noch die Möglichkeit damit auf ihn zu zielen, aber wir brauchten seine Hilfe, um an der Piraten-Blockade vorbei zu kommen.

„Wir gehen nicht ohne Asari“, sagte er schroff.

„Wer ist Asari?”, fragte ich, aber Morgan hatte bereits begonnen den Korridor entlang in Richtung der nächsten Zelle zu laufen. Ich war mir sicher, den Namen schon einmal gehört zu haben, aber ich konnte mich nicht erinnern, wo. Also folgte ich widerwillig, halb gebückt, so wie er mir gesagt hatte. Obwohl ich kein offenes Feuer sehen konnte, war die Luft heiß und meine Lungen brannten beim Atmen trotz des nassen Tuchs vor meinem Gesicht.

„Diese”, sagte Morgan durch sein Ärmelstück. Er stand vor der einzigen anderen besetzten Zelle in diesem Block. Statt einem Namen stand eine Reihe von Zahlen über der Tür.

Wyrick hatte mir ihre Identifikationskarte gegeben, mit der es ein Leichtes gewesen wäre, diese Tür zu öffnen. Aber das hier war der Hochsicherheitstrakt. Hier wurden die UEE-Gefangenen geparkt, von denen sie nicht wollen, dass sie jemand  findet. Männer, die grausame Verbrechen begangen hatten, oder bekannte Verbindungen zu Piraten hatten, oder …

Ich erinnerte mich plötzlich wieder, wer Yusaf Asari war. „Ich werde diese Tür nicht öffnen”, sagte ich bestimmt. Asari war wegen versuchten Völkermords inhaftiert. Ein tevarinischer Terrorist, der waffenfähige Viren auf einer der Kolonien im Geddon System freigesetzt hatte. Der Plan war, die Infektion durch Transporte, die von der Kolonie zum UEE Raum zurückkehrten, zu verbreiten. Die Advocacy hatte Wind davon bekommen und die Kolonie abgeriegelt, bevor sich das Virus verbreiten konnte. Die Anzahl der Opfer auf dem Planeten hingegen war entsetzlich. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Monster.

„Wir können hier stehen und diskutieren, oder ich kann dir einfach die Identifikationskarte abnehmen und die Zelle selbst öffnen. Dir die Karte zu lassen, ist reine Höflichkeit. „

Morgan wusste, dass ich bewaffnet war, aber es schien ihn nicht zu kümmern. Vielleicht wollte er einfach nur verhindern, dass Asari in den Flammen stirbt, dachte ich mir. Wenn dem so war, konnte ich wohl ein wenig nachgeben. „Ich will, dass du dafür bürgst, dass er die Station nicht verlassen wird.”

Morgan stimmte zu. „Ich werde ihm nicht helfen, die Station zu verlassen. Was er auf eigene Faust macht, ist allerdings ihm überlassen.” Mehr konnte ich wohl nicht erwarten.

Asari kam nicht sofort aus seiner Zelle. Für einen Tevarin war er groß und das hatte was zu sagen. Außerdem hatte er Narben quer über das Gesicht und auf den Schultern, die man wegen seines weißen, ärmellosen Shirts, das er trug, deutlich sehen konnte. „Morgan”, sagte er mit undeutlicher Stimme, „du siehst kein Stück aus, wie ich es erwartet habe.“

„Schau nicht so dumm aus der Wäsche“, sagte Morgan. „Betrachten wir das als Rettungsmission.”

Asari blickte an mir vorbei, als ob ich gar nicht da wäre. „Ich kann dich nicht begleiten”, sagte er. „Mein tevarischen Brüder werden auf einem der unteren Decks festgehalten. Ich werde sie finden und dann werden wir uns den Angreifern anschließen, wenn sie uns mitnehmen. Wenn nicht, werden wir sie töten.“

„Ich verstehe”, sagte Morgan. Er streckte die Hand aus, die Asari schüttelte. „Es war mir ein Vergnügen.”

„Ich werde Euch wiedersehen, Wes Morgan, wenn nicht vor dem Tod, dann danach.” Damit wandte sich der riesige Tevarin den Korridor hinunter und verschwand tiefer im Gefängnis. „Wir gehen noch nicht zum Flugdeck“, sagte Morgan, als wir zu Wyrick zurück kamen. Er sprach weiter, bevor einer von uns widersprechen konnte. „Der Spielzeug-Elektroschocker, den du da hast, wird uns nicht helfen, wenn wir den Typen, die die Abwehr einer Orbital Station ausgeschaltet haben, hier über den Weg laufen und ich will verdammt sein, wenn ich Ihnen mit nichts weiter als meiner charmanten Persönlichkeit entgegen trete.

„Keine Waffen”, sagte Wyrick bestimmt.

Morgan taxierte sie von oben bis unten. „Du bist ein süßes Mädchen. Siehst auch gut aus. Du willst nicht herausfinden, was diese Typen mit dir anstellen, wenn sie die Chance dazu haben.“ Er ließ diesen grausamen Gedanken für einen Moment in der Luft hängen, bevor er fortfuhr. „Du weißt, wer ich bin?”

Sie wurde blass, nickte aber. „Du hast meine Datei gelesen?” Ein weiteres Nicken. „Kellogg IV wollte ein psychologisches Profil, bevor wir Sie übergeben. Ich wollte es irgendwann nächste Woche erstellen.“

„Gut. Dann weißt du, dass ich kein Psychopath bin. Waffen sind ein Verhandlungsinstrument. Wenn ich nicht zum Schießen gezwungen werde, werde ich auch nicht schießen.“

Sie musterte ihn einen Moment lang, dann nickte sie ein drittes Mal. Komischerweise hatte ich nicht geglaubt, dass sie ihre Meinung wegen Morgans Drohung geändert hatte. Sie war eine Psychiaterin und Psychiater waren gut im Lesen von Menschen. Ich vermutete, sie sah etwas in ihm, das ihr sagte, dass er die Wahrheit sprach.

Leider waren wir nicht die Ersten auf der Station, die an die Waffenkammer dachten. Wir riskierten es, den Aufzug zu benutzen, und fuhren zwei Etagen tiefer, dann ging es durch ein Labyrinth aus Gängen. Als wir unserem Ziel näher kamen, hörten wir Geräusche von Metall-auf-Metall, Schreien und Fluchen. Die Quelle war offensichtlich, als wir um eine Ecke bogen. Ein Gefangener, der so dünn war, dass es aussah, als sei seine Brust eingedrückt, drückte eine Reparaturwaffe an eine verschlossene, schrottgleiche Tür. Die Pistole, die in der Regel verwendet wurde, um Löcher zu versiegeln, die durch Mikro-Meteoriten in den Rumpf geschlagen wurden, löste aus, sobald sie mit Metall in Kontakt kam. Angekohlte Flecken zeichneten ein breites Muster an den Stellen, an denen Öffnungsversuche fehlgeschlagen waren.

Ein riesiger Gefangener, den ich als Albus Cronock kannte, stand bei einer Gruppe von Männern. Er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete die Aktion. Eine von einer toten Wache genommene Waffe lehnte gegen eine Wand in der Nähe.

„Letzte Chance, umzudrehen und zum Flugdeck zu gehen”, bot ich nervös an. „Wir bleiben”, sagte Morgan. Er streckte seine Hand aus. „Gib mir die Pistole.”

Ich zögerte, aber überraschenderweise pflichtete Wyrick ihm bei. „Glaubst du, es würde auf die eine oder andere Weise einen Unterschied machen?” Vielleicht machte es keinen Unterschied, aber das Gewicht der Waffe auf meiner Hüfte wirkte beruhigend und das Gefühl gab ich nur widerwillig auf.

Sobald ich sie Morgan gegeben hatte, trat er zu einem der Control Panels, das an der Wand montiert war, zerschlug es mit seiner Faust und entfernte dann einen Draht aus dem Inneren. Er nahm den Clip aus dem Elektroschocker und tat etwas mit dem Draht, bis es Funken sprühte. Er untersuchte es kurz und steckte den Clip zurück in die Waffe, als er zufrieden war.

„Da. Jetzt ist es tödlich.“ Er hob den Lauf und richtete sie direkt auf uns.

„Nun”, sagte ich und starrte zu Wyrick, „das hat nicht all zu lang gedauert.“

„Das ist alles Teil des Plans, nicht wahr, Morgan?”, fragte Wyrick optimistisch.

„Es ist Teil eines Plans, sicher”, antwortete Morgan mit einem Achselzucken. „Du weißt, was einem am ersten Tag im Gefängnis geraten wird? Finde den größten und gemeinsten Hurensohn und fange einen Kampf an? Das ist es, was wir tun werden.“ Dann winkte er uns mit der Pistole vorwärts. „Jetzt bewegt euch.”

Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Mann mit der Reparaturwaffe bemerkte, dass die anderen Gefangenen verstummt waren, aber als er es tat, senkte er das Werkzeug, hob seine Schutzbrille und sah dann zu Cronock. Der große Gefangene stieß sich von der Wand ab, trat mit seinem Zeh unter die Gewehrschulterstütze, schleuderte es damit in die Luft und fing es mit seinen Händen auf. Als er auf uns zu schritt, folgten ihm einige der Gefangenen.

„Sieh mal einer an! Cayla Wyrick. Schön, dein hübsches Gesicht zu sehen. Wer sind deine beiden Freunde? Ich hätte wissen müssen, dass jeder hier die Gefängnis-Psychiaterin kennt.“

Sein Blick fiel auf Morgan. Er umfasste den Griff der Waffe und nickte in Richtung des mageren Kerls mit der Reparaturwaffe, als wolle er mir sagen, ich solle mich um ihn kümmern, wenn die Dinge schief liefen. Ich zuckte mit den Schultern und tat so, als ob ich ihn nicht verstanden hätte. Ich bin so tapfer wie jeder andere Kerl, aber eine Reparaturwaffe schmolz Metall zusammen. Keine Chance, dass ich mich freiwillig einem funkensprühenden Ende entgegen werfen würde.

„Das heißt Dr. Wyrick”, sagte sie. „Es hieß Dr. Wyrick, als wir uns das erste Mal getroffen haben und es hieß letzte Woche Dr. Wyrick, als Sie in meinem Büro wie ein Baby geweint haben, weil Ihre Freundin des Wartens auf sie überdrüssig wurde und mit ihrem Chef durchgebrannt ist.”

Cronock kniff die Augen zusammen, als wäre er geschlagen worden und warf dann schnelle Blicke nach links und rechts. „Weinen? Ich? Du denkst du wohl an den falschen Kerl.“ Er zuckte mit der Schulter und sprach in einem weicheren, flehenden Ton: „Gibt es nicht eigentlich so etwas wie ein Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis?“

Wyrick war aber noch nicht fertig. Sie sah den Mann mit der Reparaturwaffe an. „Hallo, James. Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen. Was denken Sie, wird Ihre Schwester tun, wenn Sie weitere zwanzig Jahre bekommen, weil sie versuchten, zu entkommen? Bleiben Sie bei Slade und landen am Ende im Krankenhaus? Sie wollten ihr das doch alles ersparen, oder nicht?

„James” wurde rot und legte die Reparaturwaffe auf den Boden. „’Tschuldige, Cronock, ich kann das nicht zulassen.”

„Und Sie! Mick Brown! Waren sie nicht …? „

Der angesprochene Gefangene wartete nicht, bis sie mit ihrer Frage fertig war. „Schon okay, schon okay. Sie haben Ihren Standpunkt klar gemacht. Ich werde Ihnen kein Haar krümmen.“ Ich war fassungslos. Wyrick war es gelungen, eine der gewalttätigsten Gruppen von Männern auf der Supermax zu neutralisieren. Nur mit Worten.

Morgans Augen waren geweitet. „Gibt es niemanden, von dem sie keine dreckige Wäsche kennt?”

Ich konnte nur mit den Schultern zucken. Wyrick schritt nach rechts in die Mitte der Gruppe. Auch in High Heels reichte sie mit ihrem Kopf nicht einmal an die Schultern der Gefangenen heran, trotzdem was es, als besäße sie sie, ihre Körper und ihre Seelen.

„Ich habe Neuigkeiten für Sie. Ich bin die neue Leiterin dieser Einrichtung. Das bedeutet, dass ich frei über Stationsprivilegien entscheiden und jedem, der uns hilft, Verurteilungsempfehlungen aussprechen kann.“ Sie blickte sich um und ließ die Nachricht sacken. Dann hielt sie ihre Identifikationskarte hoch. „Und weil ich die aktive Gefängnisleiterin bin, habe ich Zugang zur Waffenkammer.”

Morgan blinzelte, als hätte er nur bis zu diesem Punkt nur halb zugehört. „Warten sie einen Augenblick …“

Ich stammelte auch etwas. Wir sollten sie bewaffnen? Aber die Gefangenen begannen zu jubeln und übertönten mich. Da hatte Wyrick die Tür auch schon geöffnet und wir fanden uns mitten in einer Gruppe feiernder, bis an die Zähne bewaffneter Verrückter wieder.

Da das Einzige, das sie davon abhielt, uns aus der nächsten Luftschleuse zu werfen, Wyricks fehlende Preisgabe vertraulicher Informationen war, stellte ich sicher, mir ein P4SC-Sturmgewehr zu schnappen. Wenn sie jemals auf mich losen gehen würden, wollte ich bewaffnet sein.

 

Kapitel 3

Befehlshaber über eine Armee von entflohenen Häftlingen zu sein, ist nicht halb so glorreich, wie ich es mir gedacht hatte – nicht, dass ich mir das jemals vorgestellt hätte. Aber wenn man dem Schutz besagter Insassen zugeteilt ist, lässt sich die Phantasie schon mal ein wenig hinreißen. Jetzt wurde, dank des Piratenangriffs, der jeden höheren Offizier auf der Station getötet hatte, vom Computer die

Verantwortung des Gefängnisses an die Psychiaterin übertragen, und als ihr ranghöchster Patient fand ich mich in einer pseudo-verantwortlichen Position wieder.

Meine blaue Offiziersuniform stand in einem krassen Gegensatz zum Orange der Gefängniskleidung das von allen anderen in unserer Gruppe getragen wurde, mit Ausnahme von Cayla Wyrik, der betroffenen Psychiaterin. Ich gab mich keiner Illusion hin und wusste bereits, dass die Dinge aus dem Ruder laufen könnten, sobald die neuen Waffen, die sie ihnen aus der Waffenkammern besorgt hatte, langweilig würden. Der Trick, um zu überleben, war es, sie zu beschäftigen und Wes Morgan, der von uns gerettete Söldner von Maximum Security wiürde versuchen, genau das zu tun.

Vor dem Frachtenaufzug drängten sich Morgan, Wyrick und Cronock um Wyricks Notepad. Der Söldner erwies sich als eine Art Hackerexperte, der dieses Büro-Spielzeug nutzte, um sich Zugang zum Gefängnis-Netz zu verschaffen. Bilder vom Flugdeck leuchteten auf dem Bildschirm auf.

„Beim anfänglichen Angriff wurde es entlüftet“, sagte ich. „Sieht so aus, als hätten es die Piraten, die die Station angegriffen haben, repariert und die Gravitation wiederhergestellt.“

Wir konnten einige Piraten sehen, die in kleinen Gruppen zusammenstanden, während Landelichter einen Abschnitt des Flugdecks beleuchteten. Ein großer Frachter manövrierte durch das blau schimmernde Luftschild. Er sah aus, als wäre er aus Teilen anderer Schiffe zusammengeschustert worden. Eine große festmontierte Partikelkanone ragte über den Bug, bemalt, um wie das Horn einer wilden Bestie zu wirken. Unglücklicherweise wurde die Illusion der Wildheit durch zwei unverhältnismäßig kleine Flügel geschmälert, so dass das Schiff weniger wie ein Raubtier, sondern eher wie ein Truthahn mit einem Horn aussah.

„Es sind die Dogs”, sagte Morgan grimmig. Sein Finger deutete auf einige Graffiti an der Seite des Frachters.

„Die Dogs?“, fragte ich.

„Die Nova Dogs. Das bedeutet Ärger. Schwer bewaffnet und ohne Moral. Dazu haben sie noch dicke Brieftaschen, für Piraten.“

„Kannibalen”, grunzte Cronock. „Denen wollen wir uns nicht anschließen.“

Als er den Blick, den Wyrick und ich ihm zuwarfen, sah, zuckte er nur die Achseln: „Wenn ihr Loyalität erwartet, dann seid ihr größere Idioten, als ich dachte.“

„Wir könnten ein Flankiermanöver versuchen“, sagte Morgen und ignorierte die Bemerkung. Er nahm es vermutlich als gegeben hin, dass Cronock sich bei der nächstbesten Gelegenheit gegen uns wenden würde. Er änderte den Kamerawinkel auf dem Notepad. „Schleicht hinter diese Gruppe und schlagt zu, bevor sie überhaupt merken, dass wir da sind.“

Cronock rülpste laut. „‘Flankiermanöver’? Diese Jungs sind keine Soldaten. Du musst mit diesem Haufen in kurzen Sätzen und langsam reden.“

„Können wir nicht mit den Piraten reden?“ schlug Wyrick vor.

Morgan ignorierte Wyrick. „Deine Leute werden keine fünf Minuten gegen die Nova Dogs bestehen, schon gar nicht bei einem direkten Angriff.“

„Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.“ Cronock hämmerte mit der Faust auf den Fahrstuhlknopf und bellte seine Männer an, hineinzugehen. Ich stand mit Wyrick im Hintergrund und

versuchte herauszufinden, wie ich in diese Situation geraten war. Wenn ich unbedingt Piraten bekämpfen wollte, hätte ich meinen eigenen Jäger in der UEE haben können. Ich habe meine Wahl getroffen, nachdem ich meinen Abschluss gemacht hatte. Davids Tod hatte mich davon überzeugt, überall, nur nicht in einem Cockpit zu arbeiten.

Die Sicherheit auf OSP-4 war streng, das Flugdeck war entworfen, um be- und einengend zu sein. Der Aufzug öffnete sich in einer Schleuse, die einer Todeszone glich. Wachen auf dem Flugdeck konnten durch einen Schlitz an der Wand den Bereich überblicken, und ich wusste von einem Ultraschallgerät in der Nähe der Decke, das alle Personen innerhalb dieses Bereiches betäuben konnte.

Glücklicherweise hatten wir Wyrick dabei. Ihre Codes erlaubten es uns, sowohl die Luftschleusenverteidigung als auch den Fahrstuhlalarm abzuschalten. Es war ein einfaches Unterfangen für Cronocks Männer, die wenigen Piraten, die an den Aufzugstüren stationiert waren, zu überwältigen. Dieser kleine Erfolg wurde als Zeichen genommen, dass sein Plan der beste war. Er schritt wie der Kamm einer orangefarbenen Welle voran und feuerte dabei in alle Richtungen. Die wenigen Piraten, die rund um das Flugdeck verstreut waren, gingen hinter Kistenstapeln in Deckung und erwiderten das Feuer.

„Bleib hier”, sagte Morgan leise und legte eine Hand auf meine Brust. Er sah sich schnell um und prüfte die Positionen der Piraten. „Irgendwas stimmt hier nicht.“

Eine kleine Gruppe Piraten, die gerade im Begriff waren, aus dem gepanzerten Frachter auszusteigen, war besser ausgebildet und schwerer bewaffnet als der Rest. Sie schirmten einen großen Mann in einem schwarzen Anzug von der Schießerei ab und drängten ihn die Gangway hinauf zurück ins Schiff. Er wollte nichts davon wissen und schob seine Leute zur Seite.

„Lasst eure Waffen fallen“, brüllte er seine Untergebenen an. Ich sah an der Stelle, an dem sein Kiefer hätte sein müssen, etwas Glänzendes aufblitzen. Der Rest von ihm war unglaublich muskulös, so dass sein Kopf seltsam klein auf seinen massigen Schultern wirkte. Er hatte langes schwarzes Haar, das zu dem schwarzen Fliegeranzug passte, den er trug. Das Abzeichen auf seiner Brust zeigte einen Schädel im Rachen eines noch größeren Schädels, das für den Anführer eines Rudels Kannibalen eine düstere Art der Bedeutung ergab.

Er ging direkt in das Schlachtgetümmel und schlug seinen Piraten die Waffen aus der Hand.

Cronock, überrascht und verwirrt durch die plötzliche Kapitulation, musste gespürt haben, dass er keine andere Wahl hatte, als den Beschuss einzustellen. Er wies seine Männer an, sich zurückzuhalten.

„Wer ist das?”, fragte Wyrick leise.

Morgans Kiefer hatten sich verkrampft. „Martin Kilkenny. Sie würden ihm wahrscheinlich einen Gottes-Komplex diagnostizieren. Er wurde für einen von ihm geführten Angriff auf ein Sklavenschiff berühmt-berüchtigt. Statt die Sklaven zu befreien, aßen er und seine Crew sie, danach verkaufte er das Schiff. Wir sind in ernsthaften Schwierigkeiten.“

Cronock schien Kilkenny nicht zu kennen, oder falls er es tat, wirkte er nicht beeindruckt. „Wir sind wegen deiner Schiffe hier. Gib uns die Codes, wenn ihr weiter leben wollt.“

„Ich kann dich nicht hören. Komm näher!“, schrie Kilkenny, während er sich eine Hand hinter das Ohr hielt.

„Hast du das gesehen?”, sagte Morgan leise zu Wyrick und mir, während Kilkenny sprach. Er nickte in Richtung der Abfangjäger.

Ich folgte seinem Blick. Die beiden Schiffe waren erweiterte OSP-4 Hornet Jäger. Einige Augenblicke später änderte sich das Licht. Jemand war in der Hornet! Mein Blick wanderte zur zweiten Hornet.

Der Winkel war zu steil, um ins Cockpit sehen zu können, aber ich war mir sicher, dass es ebenfalls besetzt war. Schlimmer noch, Cronoks Gruppe hatte sich genau in den Schussbereich der Schiffswaffen bewegt.

„Wir müssen sie warnen“, sagte Wyrick verängstigt.

Morgan sah die Psychiaterin an, als sei ihr gerade ein zweiter Kopf gewachsen. „Was denken Sie, werden die Gefangenen mit uns machen, wenn sie ihre Codes nicht länger brauchen, um die Station verlassen zu können? Wir warten hier. Egal wer verliert, wir gewinnen.“

„Wir können nicht zulassen, dass sie einfach so abgeschlachtet werden“, entgegnete Wyrick verzweifelt. Ich bemitleidete sie fast. Ich hatte vergessen, dass sie jeden dieser Männer mit einer Intimität kannte, die nur ein Psychologe besaß. Sie kannte all ihre Geschichten, Träume und Hoffnungen. Es war ihr Job, das Gute aus den Gefangenen hervorzukramen, in der Hoffnung ihnen bei der Rehabilitation zu helfen. Morgan und ich hingegen hatten den Luxus, nur einen Haufen schwer bewaffneter Irrer in orangenen Pullovern in ihnen zu sehen. Wir konnten zusehen, wie diese Männer abgeschlachtet wurden, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden. Sie hingegen konnte das nicht.

„Es hilft uns nicht, wenn Kilkenny Cronock und seine Leute ohne einen Kampf tötet.“, warf ich ein.

„Schön.“ Er schüttelte seinen Kopf. „Schön. Bleibt ruhig und folgt mir.“

Wir hielten uns dicht am Boden und rannten hinter den nächstgelegenen Jäger. Morgan duckte sich unter den Rumpf und gab uns ein Zeichen, zu folgen. Auf der anderen Seite stand ein Kistenstapel mit lauter Blastereinschüssen. Zwei tote Piraten lagen ausgesteckt in der Nähe.

„Sei vorsichtig“, sagte Morgan, während er mir ein Messer in die Hand drückte. Er zeigte auf einen dünnen Gummischlauch, der aus dem Bugfahrwerk des Jägers baumelte. „Darin ist die

Hydraulikflüssigkeit für das Fahrwerk. Wenn ich es sage, schneidest du ihn durch. Pass auf deine Hände auf. Es ist höllisch giftig.“

Er drückte seinen Kopf an der Nase des Jägers vorbei und sah zu Cronocks Gruppe. Sie hatten die an der Front des Jägers montierten Waffen überhaupt nicht wahrgenommen. Mit einem Seufzer hob er sein Gewehr an die Schulter und richtete den Lauf auf das Fahrwerk der anderen Hornet.

„Bleibt, wo ihr seid“, sagte Kilkenny zu Cronock. Ich konnte hinter dem Fahrwerk des Jägers kaum etwas erkennen.

Wyrick kniete sich neben mich. Sie war unbewaffnet, da sie die Waffe, die Morgan ihr in der Waffenkammer angeboten hatte, abgelehnt hatte. Aus psychologischen Gründen, vermutete ich. Ich respektierte ihre Entscheidung, aber das hieß nicht, dass ich mir jetzt nicht eine dritte Waffe gewünscht hätte. Auch unter der Hornet kauernd fühlte ich mich der Situation hilflos ausgesetzt. Sie jedoch schien mein Unbehagen nicht zu bemerken.

„Was ist mit seinem Kiefer?“

„Halt die Klappe“, zischte Morgen. Er deutete mit dem Gewehr auf eine Stelle über meinem Kopf. „Das Cockpit ist genau hier.“

Wyrick und ich blickten erst hinauf und dann wieder zu ihm, und nickten gemeinsam.

„Ich sagte“, wiederholte Cronock lauter als vorher. „Wir sind hier wegen eurer – „

„Ich habe dich schon verstanden“, sagte Kilkenny. „Ich brauchte euch nur genau da, wo ihr jetzt seid.“ Cronocks Mannschaft war genau in seine Falle gegangen.

„Jetzt!“, sagte Morgan scharf. Er eröffnete das Feuer auf das Fahrwerk der anderen Hornet, das Gewehr ratterte in seinen Händen. Ich begann den Schlauch mit meinem Messer aufzuschlitzen, aber zu meinem Entsetzten bog sich der Gummischlauch mit meinem Schnitt. Helle Blitze versengten meine Sicht, als die Geschütze der Hornet begannen, in die Menge mit den Gefangenen zu feuern.

„Nylund!“, schrie Wyrik. Ihre Nägel bohrten sich in meinen Arm.

„Ich versuch’s ja“, rief ich zurück. Ich nahm den Schlauch in die andere Hand und begann daran zu sägen. Morgan hatte sich umgedreht, um auf Kilkennys Männer zu schießen, die sich in den Frachter zurückzogen. Plötzlich hatte vich den Schlauch durchgeschnitten und Hydraulikflüssigkeit verteilte sich überall. Das Fahrwerk der Hornet knickte schlagartig ein und die Nase der Hornet hätte mich am Kopf getroffen, wenn ich mich nicht zurückfallen hätte lassen, um der sprühenden Hydraulikflüssigkeit auszuweichen. Laserschüsse trafen das Deck in unmittelbarer Nähe und heiße Luft strömte über uns hinweg.

„Da lang“, rief Morgan den verbliebenen Männern von Cronock zu. Wir hörten ein Zischen über uns und Morgan feuert aus der Drehung heraus zurück. Der Körper eines Piraten fiel aus dem Cockpit und schlug neben uns auf den Boden. Ein blutiges Loch klaffte dort, wo sein Auge hätte sein sollen.

Morgan packte Wyricks Arm, zog sie unter der Hornet hervor und schmiss sie dann fast auf die Landeplattform. Ich folgte, rutschte das Landedeck entlang, um direkt vor dem Kontrollpanel der Landeplattform zum Halt zu kommen. Eines der koaxialen Geschütze des gepanzerten Frachters war hochgefahren und spie uns Laserschüsse entgegen. Ich schlug mit der Hand auf das, wovon ich hoffte, dass es die Abwärts-Taste war. Der Boden unter unseren Füßen erzitterte und ein jäger-großes Quadrat setzte sich in Bewegung.

Ich hörte Wyrick nach Morgan rufen, der mit wenig Erfolg auf den Frachter schoss. Die Plattform bewegte sich deprimierend langsam, aber glücklicherweise sanken wir nach wenigen Sekunden außerhalb des Schussbereichs des koaxialen Geschützes. Im letzten Moment rutschte Morgan über den Rand des Decks und landete neben uns, während sich die Tore zum Flugdeck schlossen.

„Nun“, sagte er, als er nach oben blickte, von wo wir gerade gekommen waren. „Wir müssen wohl einen anderen Weg aus der Station finden.“

 

Kapitel 4

Die zwölf von uns, die es lebendig bis zur Ladeplattform geschafft hatten, mussten in der Dunkelheit warten, bis der Dreizehnte an seinem eigenen Blut erstickt war. Die Geräusche waren abscheulich und kein Mensch sprach, bis es endlich aufhörte.

Dass das Licht nicht bis zur Frachthalle drang, in der wir uns seit einigen Minuten versteckt hielten, war ein Zeichen dafür, wie stark die Piraten unter der Führung Kilkennys die Station beschädigt hatten. Wenn sie doch mal flackerten, war das Licht schwach und diffus.

Wir fühlten, wie sich die Plattform als Reaktion auf eine Anforderung von oben zu bewegen begann, aber Morgan schlug mit dem Kolben seines Gewehrs die Steuerungsplatte in Stücke. In der Nähe weinte Wyrick, die Gefängnistherapeutin und unser De-facto-Gewissen, leise über dem Toten.

„Okay Nylund”, sagte Morgan. „Wir brauchen einen anderen Weg runter von der Station.” Ich merkte, dass ich in den Weltraum starrte und meinen Kopf schüttelte. Wir waren zum Flugdeck gegangen, um zwei Hornet Fighter der Station zu stehlen und sie zu nutzen, um die Blockade der Nova Dogs und ihrem Hauptmann, Martin Kilkenny, einem Piraten, von dem ich wenig wusste, zu durchbrechen. Ich wusste nur, dass er ein Kannibale war und dass etwas mit seinem Kiefer nicht stimmte. Jetzt, mit dem Flugdeck in Piratenhand, müssten wir nicht nur ein anderes Schiff finden, wir müssten auch unseren Weg an eben jenen Hornets vorbeikämpfen.

„Nylund?”

„Ich denke nach”, sagte ich schnell. „Es gibt zwei stillgelegte Fighter und einen alten Stationstransporter in einem Hangar auf der anderen Seite der Station, aber es wäre ein Wundermechaniker nötig, um sie kampfbereit zu bekommen. Außerdem würden uns Kilkennys Männer einfach in den Hornets verfolgen und uns abknallen. Sie bräuchten nicht einmal den Rest ihrer Schiffe.

„Dann müssen wir die Jäger zerstören.” Morgan blickte reumütig auf das zerstörte Bedienfeld. „Ich vermute, das war ein wenig voreilig. Gibt es einen anderen Weg, um wieder auf das Flugdeck zu kommen?”

„Wir können nicht mehr dorthin zurück.” Wyrick erhob sich. Sie hatte mit den Gefangenen in der Waffenkammer verhandelt, floh mit Ex-Sträflingen durch die Station und überlebte den Beschuss der Nova Dogs. Einige Frauen wären unter diesem Druck zerbrochen, aber sie schien etwas aus der Erfahrung gewonnen zu haben. Sie stand aufrechter, hielt ihr Kinn nach oben. Verschwunden war die Passivität der Therapeutin. „Wir brauchen jeden Mann, der übrig ist.”

Morgan ballte die Faust. „Wir haben keine andere Wahl -”

„ – wir verhandeln nicht mit Terroristen”, fiel ich ihm ins Wort, ohne zu bemerken, dass ich laut gesprochen hatte. Als sich alle Augen auf mich gerichtet hatten, wurde mir klar, dass ich es erklären musste. „Wir verhandeln nicht mit Terroristen. Wenn eine Gruppe von Gefangenen jemals das Flugdeck erobert hätte, hätten wir die automatisierten Waffentürme aktiviert und sie ins Jenseits befördert.“ Wyrick war von Zorn übermannt. „Ich wusste nichts von dieser Vorgehensweise. Gefangene ins Weltall zu schleudern, ist unmenschlich.“

Morgan hob seine Hand, um sie zu stoppen. „Entweder das oder sterben.” Er gab ihr Gelegenheit, zu widersprechen, aber sie schwieg mürrisch. „Okay,” sagte er, „aktivieren wir die Türme, blasen Kilkenny und seine Männer weg und flüchten dann mit den Backupjägern…“

„Nicht so schnell”, warf ich ein. „Da fehlen einige Schritte. Die Türme werden auf dem Kommandodeck aktiviert und das gibt es nicht mehr. Und dann ist da noch das Problem mit der Reparatur der Jäger…”

„Mach dir darüber keine Gedanken, ich kenne da jemanden. Die Türme hingegen… „Morgan sah sich um und zeigte auf mehrere, kleine, kreisförmige Netzwerk-Knotenpunkte in der Decke. „Da. Können wir sie von hier aus hacken?”

„Nein. Sie können ausschließlich ferngesteuert werden. Man konnte nicht zulassen, dass die Gefangenen die Türme selbst deaktivieren.” Trotz meiner Aufregung erhob ich mich. „Aber da müsste der Serverraum sein. Wenn er nicht zerstört wurde.”

„Gut.”

Was auch immer Morgan noch sagen wollte, es wurde von einem Ausbruch eines Rauschens der Kommunikationsanlage der Station übertönt. Die Stimme, die nun hörbar war, war so tief und klangvoll, dass ich keine Zweifel hatte, dass sie zu dem Piratenkapitän gehörte. Natürlich war es Kilkenny höchstpersönlich.

„Mein Name ist Martin Kilkenny und Sie können mich als Ihren Bewährungshelfer betrachten. Ich sage Bewährung, weil Sie keine freien Menschen sind. Ein freier Mann ist ein Mann, der jede Aufgabe frei wählen kann, aber es gibt nur eine Aufgabe, die Sie bewältigen müssen, um einen Platz an Bord meines Schiffes zu verdienen. Ich bin auf der Suche nach einem Mann namens Martin Browning. Häftlingsnummer AX-345987.“

Pause.

Sie haben vielleicht gehört, dass die Nova Dogs Kannibalen sind. Das ist richtig. Wir sind Geschöpfe des Nichts und das Nichts ist ein hungriger Ort. Versucht sie sich nicht den Weg in Eure Station zu bahnen? Saugt es euch nicht in seinen Bauch wie nasse Nudeln? Wir folgen seinem Beispiel. Was wir nicht verwenden, das essen wir. Es gibt zwölf Plätze auf meinem Schiff. Einen in der Mannschaftskabine und elf in der Küche. Ein nützlicher Mann wird sich seinen Platz in der Crew verdienen.

Stille.

„Charmant”, sagte Wyrick trocken. „Vielleicht wird er diesen Kerl finden und gehen?”,sagte einer der Gefangenen. Es war Relic, glaube ich, der Gefangene, der uns mit der Reparaturwaffe bedroht hatte.

„Vielleicht”, sagte ich und ließ das Wort in der Luft schweben. Wenn Kilkenny diesen Browning jagte, lässt er uns in Ruhe. Das war natürlich ein Gedanke, aber ich wusste, dass wir einige von Kilkennys Männern getötet hatten und er würde dafür hinter uns her sein, wenn er konnte.

Wir machten uns auf den Weg durch die Wartungskorridore zum Serverraum. Die ehemaligen Häftlinge, die hinter uns her kamen, tuschelten über Kilkennys Angebot. Niemand schien jemanden namens Browning zu kennen, aber jeder glaubte, sie würden jemanden kennen, der es tat. Trotz des kürzlichen Massakers an ihren Freunden träumten sie alle davon, derjenige zu sein, der Kilkenny ungenutzte Koje einnehmen konnte. Der Gedanke, dass der Gewinner ihres kleinen Wettbewerbs die Verlierer essen musste, kam ihnen nicht in den Sinn.

Ich glaubte, ich würde einen besseren Weg kennen, um Martin Browning zu finden. Wyrick ging an der Spitze der Gruppe, direkt hinter Morgan. Ich packte ihren Arm und deutete dann mit einem Nicken an, dass sie ihr Tempo verlangsamen solle. Falls es Morgan aufgefallen war, sagte er nichts. „Es gibt ein Terminal im Serverraum. Mit deinen Zugangscodes kannst du herausfinden, wer dieser Browning ist und in welcher Zelle wir ihn finden.”

„Du willst ihn an Kilkenny ausliefern? Nach allem, was wir erlebt haben?”

„Vielleicht. Wir müssen unsere Möglichkeiten ausloten. Was, wenn er seinen Mann bekommt und …,” die Unwahrscheinlichkeit meiner eigenen Andeutung ließ mich stutzen. „…Nun ja, er geht. Das Leben eines Mannes im Austausch für alle auf der Station. Wer würde diesen Deal nicht eingehen?”

„Der fragliche Mann, vermute ich.” Wyrick schien zu glauben, das hätte die Diskussion beenden und kehrte zu Morgan an die Spitze zurück.

Das Deck, in dem der Serverraum untergebracht war, war dunkel, und ich machte mir Sorgen, dass es keinen Strom gab. Wenn das der Fall war, brauchten wir einen neuen Plan, und zwar schnell. Morgan fand ein paar Kerzen an einer Wand, die er verteilte. Wir gingen durch eine Tür, die einst abgesichert war, und betraten einen Raum, der derart heiß war, dass die Hitze durch unsere Kleidung drang und unsere Augen austrocknete. Reihen über Reihen voller schwarzen Kästen starrten uns mit flackernden grünen und roten Lichtern an.

„Es ist heiß hier drinnen”, sagte Relic unnötigerweise. Morgan sah sich um und ging dann eine der Reihen entlang. „Lasst uns ein aktives Terminal finden.” Ich folgte Wyrick.

Der Serverraum war wahrlich das Herz der Station. Von hier aus war alles möglich. Auch wenn die Aufzeichnungen meiner Verhaftung und Verhandlung eventuell an die UEE gesendet worden waren, waren wir hier doch isoliert genug, dass die Übertragung großer Datenmengen teuer werden konnte. Momentan waren sie nur auf den Servern der Station gespeichert. Mit dem richtigen Zugang konnte ich Beweise für meine Verbrechen verschwinden lassen. Jeder, der wusste, dass auch ich ein Gefangener war, war tot, abgesehen von Wyrick selbst, und wenn dies alles vorbei war, könnte ich vielleicht einen Weg finden, mir ihr Schweigen zu erkaufen.

„Alles, was ich sage, ist, dass es nicht schadet herauszufinden, in welcher Zelle er steckt. Er ist das Einzige, das Kilkenny will. Er hat seinen Preis. Wir könnten mit dieser Information handeln. Aber dann warnen wir Browning vielleicht davor, dass Kilkenny auf dem Weg zu ihm ist.”

Wyrick stoppte abrupt. Ich lief fast in sie hinein. Sie drehte sich um und ich konnte das Blau ihrer Augen im Kerzenschein sehen. „Ich bin deine Therapeutin, Nylund. Ich kenne dich besser als du dich selbst. Im Herzen bist du kein Feigling. Du weißt, dass es falsch ist, Kilkenny nachzugeben. Dieser selbstsüchtige Verbrecher, den du vorgibst zu sein, ist nur deine Art des Umgangs mit deiner Schuld. Du bestrafst dich selbst.“

Ich ergriff eines von dem Kerzenlicht erhelltes Serverrack. „Mein Bruder hat nichts damit zu tun.” Ich leckte mir mit einer trockenen Zunge die Lippen. „Und ich mag ein eigennütziger Verbrecher sein, aber ich bestrafe mich nicht selbst. Ich versuche, jedes Werkzeug, das mir zu meiner Verfügung steht, zu nutzen, um uns alle hier lebend raus zu bringen.”

Wenn Therapeuten lügen konnten, dann konnten ihre Patienten das auch. Wyrick erwiderte meinen Blick für eine unangenehm lange Zeit, ihre blauen Augen zuckten mikroskopisch, als würden sie die Sichtlinie zwischen unsere Pupillen ungebrochen halten. Endlich schien sie zu einem gewissen Entschluss gekommen zu sein. „Ich gebe dir die Zugangscodes. Wenn du sie wirklich willst. Willst du sie wirklich, Nylund? Denk sehr sorgfältig nach.”

Ich dachte an Danny und unsere Tage in der Akademie. Vor seinem Tod war ich wie ein gerader Pfeil. Ich hätte nie in Betracht gezogen, ein Verbrechen zu begehen, geschweige denn die Beweise dafür zu vernichten, dass ich es getan hatte. Was hatte sich seitdem verändert? Ich scheute diesen Gedanken. Die verdammte Psychiaterin begann, zu mir durchzudringen. „Ja”, sagte ich so unschuldig, wie ich nur konnte.

Ich war mir unsicher, ob sie ihr Versprechen halten würde, aber sie drückte auf ein kleines Metallteil und ein Terminal öffnete sich. Sie tippte ihre Codes ein. Ihre radikale Therapie war gescheitert und ich hielt mich für siegreich.

Erst nachdem ich den Beweis für meine Verbrechen aus der Datenbank entfernt hatte, realisierte ich, dass es überhaupt kein Sieg war. Aus irgendeinem Grund fühlte es sich eher wie eine Niederlage an.

Ich hatte ein Abfragefenster geöffnet und der Cursor leuchtete mich blinkend an. Ich fühlte plötzlich ein riesiges Gewicht auf mir, das nichts mit der Hitze zu tun hatte. Ich hatte Wyricks Vertrauen zweimal verraten. Ich sagte mir, ich würde es wieder gut machen. Am Anfang war der Gedanke oberflächlich, aber es fühlte sich richtig an, also sagte ich mir noch einmal, dass ich es wieder gut machen würde und es dieses Mal meinte ich es auch so.

Meine Finger tanzten über die Tastatur, als ich den Namen von Martin Browning eintippte. Zu meiner Überraschung kam ein leeres Fenster. Von den 2400 Gefangenen auf OSP-4 hatte kein einziger das Pech „Martin Browning” zu heißen und die Identifkationsnummer, die Kilkenny genannt hatte, gehörte einem toten Mann namens Wilbur Marx.

Morgan hatte ein anderes Terminal im hinteren Teil des Raumes gefunden und brachte eine Ansicht des Flugdecks auf den Schirm. Ein Fadenkreuz schwebte über den zwei Hornets. „Die Verbindung ist durchgeschmort”, sagte er, wischte sich den Schweiß vom Nacken und schnippte die Tropfen auf den Boden. „Es ist diese verdammte Hitze. Nur einer der Waffentürme reagiert. Wir werden nicht viel Zeit haben.”

„Ziele zuerst auf die Jäger”, sagte ich und wischte meine verschwitzten Handflächen an meiner Hose ab. „Der Frachter ist zwar auch tödlich, aber ihm können wir entkommen.”

„Gefunden, was du gesucht hast?”, fragte Morgan und blickte über die Schulter.

„Klar. Ich habe eines der Terminals verwendet, um meine Nachrichten zu lesen. Habe einige Rechnungen bezahlt. Du weißt schon…“ Es war ein schwacher Witz, aber er lachte grunzend und fragte nicht weiter nach. Wyrick stand neben ihm und vermied es, mich anzusehen. Ich versuchte an etwas zu denken, dass ich sagen konnte, um ihr Vertrauen zurück zu gewinnen, aber mir fiel nichts ein.

Morgan schlug auf ein paar Tasten auf dem Terminal und das Fadenkreuz färbte sich rot. „Betrachtet das als einen Liebesbrief an Kapitän Kilkenny”, sagte er, während er auf die Tasten hämmerte.

 

Kapitel 5

Ich saß in der Klemme.

Ich war Offizier in einem Gefängnis, das von Piraten halb zerstört worden war, in dem die meisten Gefangenen entflohen waren und jetzt ungehindert durch die Gänge streiften. Die wenigen Kriminellen, deren Leben wir gerettet hatten, trauten mir nicht. Wes Morgan, der von uns gerettete Söldner, dachte wohl auch, dass ich ein Narr wäre. Und Wyrick… naja Cayla Wyrick war meine Therapeutin.

„Zum Laderaum geht’s hier lang“, sagte ich, als ich bemerkte, dass wir eine Abzweigung verpassten.

„Wir gehen nicht zum Laderaum“, erwiderte Morgan, ohne sein Tempo zu verringern.

Meine Frage, wohin es dann gehen sollte, ignorierte er. Niemanden schien es zu kümmern. Die Gefangenen folgten ihm stur wie junge Welpen dem Alpha-Wolf. Wyrick wollte nicht mir reden. Sie war mit meiner Entscheidung, Martin Browning an die Nova Dogs zu übergeben, nicht einverstanden – obwohl ich es im Serverraum nicht geschafft hatte, herauszufinden, wer er war. Die Tatsache, dass ich es überhaupt versucht hatte, machte mich in ihren Augen zu einem Feigling.

Als wir weiter in das Innere der Station vordrangen, begannen wir Dinge durch die Wände zu hören. Leises Husten drang durch die Lüftungskanäle und dann etwas Anderes. Ein tiefes Kichern, das nie aufzuhören schien, nie Luft holte. Das Verschieben von papierartigem Stoff. Der Duft von Schweiß und ungewaschenen Körpern.

Fat Max, der größte Mann unter uns, wenn auch nicht an Muskeln, sondern an reiner Masse, blieb wie angewurzelt stehen und blockierte den Korridor. „Da geh ich nicht rein.“ Die Tür vor uns bestand aus genieteten Stahlplatten, bemalt mit einem weißen Streifen, auf den noch mal ein roter Streifen gemalt war. Ich erkannte es sofort. Es war der Eingang zur forensisch-psychiatrischen Abteilung. Ein Freund beschrieb es wie einen Hochsicherheitstrakt, nur dass die Insassen unter Zwangsstörungen litten. Jemand im Hochsicherheitstrakt sticht dich möglicherweise für einen Zahnstocher ab, aber jemand aus der forensischen Psychiatrie würde dich schon abstechen, wenn ihm die Stimmen in seinem Kopf nur sagten, dass du überhaupt einen Zahnstocher hast.

Diese Männer würden auf einer Gefängniswelt wie Quarterdeck nicht überleben, weil sie entweder nicht selbst auf sich aufpassen könnten oder die anderen Gefangenen sie aus Angst um ihre eigene Sicherheit töten würden.

Nur wenige von ihnen waren tatsächlich während ihres Aufenthalts auf der Station verrückt geworden. Die Meisten waren einfach nur Monster, mit denen die anderen Systeme nichts anzufangen wussten. Einige waren zurechnungsfähig, hatten aber so grauenhafte Taten begangen, dass eine zwölfköpfige Jury aus gemäßigten Männern und Frauen nicht begreifen konnten, wie jemand bei klarem Verstand so etwas tun könne.

Ich konnte verstehen, warum Fat Max diesen Ort vermeiden wollte. Aber ich wusste auch, dass ich bei Morgan und Wyrick punkten musste. Ich schob mich an die Spitze der Gruppe und drehte mich um. Die Männer sahen nicht aus wie die knallharte Truppe aus Gefangenen, die wir beim Versuch in die Waffenkammer einzubrechen, vorgefunden hatten. Sie hatten viele ihrer Freunde während des Hinterhalts von Martin Kilkenny sterben sehen und waren selbst mit dem Tod durch einen Kannibalen bedroht worden. Sie hatten Angst.

„Was zum Teufel ist los mit euch?“, fragte ich. „Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Dass diese Typen euch töten und essen werden? Denn das ist genau das, was uns die Jungs dahinten versprochen haben und wir wissen, dass sie dieses Versprechen einlösen werden.

Fat Max starrte mich mit seinen Knopfaugen, die durch die gewaltigen Fleischplatten seiner Backen noch kleiner wirkten, an. „Dann geht halt allein rein.“

„Gut, aber weißt du was?“ Ich drehte mich um und zeigte mit einer dramatischen Geste auf Wyrick. Sie hatte ihre High Heels irgendwo auf dem Flugdeck ausgezogen und trug jetzt nichts weiter als Strümpfe an ihren Füßen. „Diese Frau kam dreimal in der Woche hierher, als Teil ihrer Arbeit, und sie geht auch jetzt. Werdet ihr sie alleine gehen lassen?“

Es stellte sich heraus, dass einige durchaus dazu bereit waren. Aber mehr als die Hälfte beschloss, mit uns zu kommen. Im Stillen dachte ich mir, dass es kein großer Verlust war, die anderen hinter uns zu lassen.

„Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich mich von dieser kleinen Rede geschmeichelt oder beleidigt fühlen soll“, sagte Wyrick, als wir langsam in die Station vordrangen. Es war das erste Mal, dass sie mit mir sprach, seit ich ihre Codes benutzt hatte, um mehr Informationen über Browning zu erhalten.

„Ich habe genauso viel Angst wie Fat Max“, gestand ich ein. „Es braucht Mut, zu tun, was du tust.“

„Fat Max blieb zurück,” betonte sie. „Du nicht.“

Ich wusste nicht, wie ich dieses Kompliment auffassen sollte. Bedeutete es, dass ich mir ihre Gunst wieder zurück verdiente? Ich wollte das Gespräch fortsetzen, aber sie war schon weg.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, wie eine forensische Psychiatrie aussieht, aber was wir sahen, glich eher einem Krankenhaus. Medizinische Stationen, Defibrillatoren, an der Wand befestigte Feuerlöscher und Betten aufgereiht an einer Seite des Korridors. Jedes Bett war mit Stützen ausgestattet und naturgemäß sauber und steril. Wir kamen in einen Gemeinschaftsraum mit ein paar verstreuten Tischen, auf denen altmodische Brettspiele lagen. Um einen Bildschirm standen kreisförmig angeordnet einige Sofas. Eine Reihe blutiger Fußspuren führte von dort zu einer der Türen. Auf einer Seite des Raumes war hinter einer Plexiglasscheibe die Medikamentenausgabe. Die Tür hing in ihren Angeln und ich konnte mehrere zusammengesunkene Patienten ausmachen, mit getrocknetem Schaum und Erbrochenem um ihren Mund und auf ihren Hemden.

„Wo ist das Personal?“, fragte Morgan.

Niemand antwortete.

Wir drangen weiter in die Station vor, gelegentlich trafen wir auf Patienten. Wyrick war kein Arzt und es gab nicht viel, was sie für diese Menschen tun konnte, außer sie ruhig zu halten, während wir vorbeizogen.

Morgan warf gelegentlich einen Blick auf die Karte von Wyricks Tablet. Er schien genau zu wissen, wo sein Freund festgehalten wurde. Wir kamen zu einer Tür, an der sie ihre Codes erneut eingeben musste und zum ersten Mal seit Beginn unserer kleinen Reise stockte sie.

„Das ist der Hochsicherheitstrakt. Wenn ihr Freund hier eingesperrt ist, sollte er besser bleiben, wo er ist und behandelt werden.“

„Ich weiß, wie man mit Herbys Zustand umgehen muss“, sagte Morgan.

„Herby?“, fragte Wyrick mit hochgezogener Augenbraue. „Doch wohl nicht Herschel Konicek?“

„Sie kennen ihn.“ Es war keine Frage, mehr ein Eingeständnis der Niederlage.

„Als Therapeutin hoffe ich, dass er behandelt wird. Als Frau hoffe ich, dass er in seiner Zelle verrottet.“

Morgan schüttelte den Kopf. Wyrick hatte nicht um eine Erklärung gebeten, aber er gab ihr trotzdem eine. „Herby war einer der besten Feldmechaniker, die ich je kannte. Einmal wurde unser APC von Vanduuls angegriffen. Sie jagten das Ding zur Hölle. Der Schaden war so groß, dass sie uns zum Sterben zurückließen. Wir fanden Herby unter den Trümmern mit einem drei Zoll langen Stahlstück in seinem Kopf. Das Verrückte war, dass er in der Lage war zu gehen und zu sprechen. Von dem Stück Metall in seinem Schädel mal abgesehen, wirkte er auch sonst völlig normal. Wir befanden uns ohne ein Fortbewegungsmittel inmitten einer gigantischen Wüste. Was sollten wir also tun? Zu Fuß zur nächsten Stadt gehen? Nun, Herby nahm sich den Antrieb des APC, montierte zwei Räder dran und dann fuhren wir mit dem hässlichsten Motorrad, das die Welt je gesehen hatte, davon.“

„Als wir in Sicherheit waren, brachten wir Herby ins Krankenhaus. Dort stellte sich heraus, dass durch das Metallfragment der Teil des Gehirns beschädigt war, der für die Impulskontrolle zuständig war. Was mit den Frauen geschehen ist …. er wusste zwar was er tat, aber er konnte sich selbst nicht aufhalten. Das hat ihn innerlich zerrissen. Was er seinen Opfern angetan hat, würde ich niemandem wünschen, aber auch er war ein Opfer. Unsere Einheit bestand nur aus Männern, solange er bei uns war und keinen Landgang nahm, konnte er ein normales Leben führen. Als das Gesetz mich eingeholt hat, hat es auch ihn eingeholt und so ist er hier gelandet.“

Morgan drehte sich zu Wyrick. „Tatsache ist, wir brauchen ihn, um Nylunds eingemottete Flieger zu reparieren. Ich verstehe, dass Sie jeden Grund haben ihn in der Zelle zu lassen, mehr als jeden anderen. Aber ich werde alles Menschenmögliche tun, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Herby weiß, dass er sich nicht mir anlegen sollte.“

Wyrick verschränkte ihre Arme. Sie sah erst mich an, dann die anderen Gefangenen. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich jeden Kontakt mir Konicek vermeiden, aber es gab keinen anderen Weg, die Hornets ohne seine Hilfe wieder in Betrieb zu nehmen und das wusste sie. Ihre Wahl war simpel: der Befreiung Koniceks zustimmen oder von Kilkenny und seiner Crew aufgegriffen werden. Ich beneidete sie nicht um ihre Entscheidung. „Okay. Wir lassen ihn raus, aber… wenn das, was sie sagen, wahr ist und Koniceks Zustand das Resultat einer Hirnverletzung ist, dann wird er nie geheilt werden können. Ich will ihr Wort darauf, dass, wenn alles vorbei ist, sie ihn wieder hierherbringen.“

„Einverstanden“, sagte Morgan so schnell, dass ich sehen konnte, wie Wyrick versuchte herauszufinden, worauf sie sich eingelassen hatte. Nach einem kurzen Moment gab sie auf und hämmerte ihren Code in die Konsole.

Die gepanzerte Tür glitt zur Seite und stoppte abrupt. Die Lichter auf der Konsole wechselten von grün auf orange und zeigten an, dass ein Hindernis vorhanden war. Morgan und zwei Gefangene waren notwendig, um die Tür gewaltsam aufzuschieben. Als es geschafft war, sackte eine Wache zu Boden. Die Augen waren in ihre Höhlen gedrückt worden und zwei scharlachrote Streifen zogen sich wie verschorfte Tränen über seine Wangen. Der Rest des Korridors war in Blut getränkt, mehr als ich jemals an einem Ort gesehen habe. Wir fanden einige Leichen, aber auch viele leere Blutkonserven, wie sie normalerweise für Bluttransfusionen benutzt wurden. Der Gestank von Fäulnis und Kupfer hing schwer in der Luft.

„Herby“ rief Morgan, aber es kam keine Antwort. Irgendwo, weit weg, glaubte ich, den Beginn eines hysterischen Lachens zu hören, das so abrupt endete, wie es begonnen hatte. Das war eine Nachricht für uns und wir alle wussten es.

 

Kapitel 6

Als Ex-Quartiermeister auf OSP-4 habe ich meinen Anteil an Leichen gesehen. Entgegen dem landläufigen Glauben lagerten wir die Körper von im Gefängnis verstorbenen Männern nicht ein.

Stattdessen beginnt mit jedem Tod eine genaue Untersuchung und ich war dafür verantwortlich, den ganzen medizinischen Bedarf und irgendwelche anderen exotischen Bestandteile zu besorgen, die die Pathologen für ihre Untersuchungen brauchten.

Ich habe Körper von Männern gesehen, die durch andere Gefangene erstochen oder mit Bleirohren zu Tode geprügelt worden sind. Und ich habe sogar einen Mann gesehen, der in einem der Heizungskanäle stecken geblieben war und dann langsam zu Tode gekocht wurde.

Der Anblick aber, der sich mir und der kleinen Gruppe von entkommenen Gefangenen in der forensischen Psychiatrie bot, war allerdings anders als alles, das ich je gesehen hatte. Es waren Männer und Frauen, manche trugen Wärteruniformen, andere die dünne Abendbekleidung der Patienten. Einige der Gesichter waren zu einer Masse purpurfarbenen Fleisches geschlagen, andere wiederum waren eindeutig erkennbar.

Einige lagen friedlich gegen eine Wand gelehnt, während andere den Blick des Entsetzens in den Augen hatten. Jemand hatte die Oberlichter zerstört und Stücke zerbrochenen Glases waren auf dem Fußboden verstreut.

Ich hörte Cayla Wyrick schluchzen. Sie kniete neben einem jungen Mann mit entzündeten roten Striemen auf der Wange und starr gefrorenem Schrecken in seinen kalten, toten Augen. Sie sagte etwas zu ihm, das ich nicht richtig hören konnte, bemerkte aber, dass sie etwas Privatsphäre brauchte. Ich verließ sie und schloss mich Wes Morgan an, dem Söldner, den wir aus dem Hochsicherheitstrakt gerettet hatten und der weiter unten im Gang stand.

„Fühlst du das?” fragte er.

„Existenzieller Terror? Ja, ich bin auch hier.”

„Nein.” Er atmete tief ein. „Die Mischung der Luft ist in diesem Flügel anders. Kilkennys Angriff muss den Luftaustauscher beschädigt haben. Es gibt zu viel Stickstoff und zu wenig Sauerstoff.”

„Und das kannst du riechen?”

„Nein. Aber ich fühle mich ein wenig betrunken. Du nicht? Das ist eines der Zeichen für eine Stickstoffnarkose. Wir müssen Herby finden und so schnell wie möglich hier raus.”
Ich drehte mich um und schaute auf das halbe Dutzend Männer in orangenen Overalls. Sie waren alle bewaffnet, viele mit Gefängnistätowierungen auf Gesicht und Händen. Einer von ihnen, den sie einfach „Shank” nannten, hatte das Weiß seiner Augen gefärbt, so dass er uns aus tiefschwarzen Augäpfeln anstarrte. Nicht der Typ Männer, denen man noch mehr Hiobsbotschaften verkünden wollte.

Sie waren sozusagen der Feind unseres Feindes. Und wir waren irgendwie zu dem Entschluss gekommen, dass es am besten war, zusammen zu bleiben, so lange wir alle vermeiden wollten, die nächste Mahlzeit der Nova Dogs zu werden. Sie waren schließlich Kannibalen. Jetzt begann die Entscheidung etwas riskanter zu wirken.

„Was machen wir mit ihnen?”

„Nichts.“ Morgan hob eine Augenbraue und sah über seine Schulter. „Schau sie dir an. Bei der Waffenkammer haben sie noch abwechselnd versucht, das Alphamännchen untereinander auszumachen. Und jetzt? Sie haben mehr Angst vor Kilkenny, als vor uns. Wenn Kilkenny nicht wäre, hätten sie uns beiden bereits in den Rücken geschossen…” Seine Augen wanderten zu Wyrick, die neben einem der anderen Körper kniete. „… und ihr hätten sie noch schlimmeres angetan.”

Er hatte natürlich Recht. Die Schlimmsten von diesem Haufen waren mit Fat Max zurückgeblieben. Ich hatte keine Zweifel, dass Martin Kilkenny sie längst erwischt hatte. Der Rest von ihnen… sie waren nicht mehr als eine kopflose Schlange. Nicht so spannend wie eine Lebende, aber auch nicht so tödlich.

Unsere kleine Gruppe machte sich auf den Weg durch die forensische Psychiatrie. Es war kein großer Bezirk, aber die Gänge waren einander sehr ähnlich. Und es gab ziemlich viele doppelt gesicherte Türen, die zerschlagen worden waren – oft unter persönlichem Einsatz des Angreifers, wie die blutigen Reste auf den Türen andeuteten. Immer wieder hörten wir Gelächter – ein gestörtes, freudloses Gelächter, das so unfreiwillig wirkte wie ein Niesen.

Schließlich fanden wir eine der Quellen des Gelächters: einen schlanken Mann mit gelblicher Haut, der von Verbändern überzogen war, die er aus einem umgestürzten medizinischen Wagen gestohlen hatte. Er versuchte verzweifelt, die Wunden an seinen Händen und Handgelenken zu verbinden.

Wyrick kniete sich hin, um ihm ihre Hilfe anzubieten. Sie schreckte jedoch zurück, als der wahnsinnige Mann ihr seine Handgelenke entgegenstreckte und sie das Metallarmband sah, das an einem von ihnen baumelte. Sie stolperte in meine Arme zurück und für einen Moment roch ich Sandelholz und Rosen. Ich erinnerte mich daran, wie sie ihr Parfüm früher am Tag aufgetragen hatte. Ich hätte nie vermutet, dass ein Piratenangriff alles auf den Kopf stellen würde.

„Was ist los?”, fragte ich.

„Seine Uhr hat einem Freund von mir gehört”, sagte sie ruhig. Ihre Hand umschloss meinen Arm so stark, dass es schmerzte, aber ihre Augen fixierten die des Patienten.

Es war offensichtlich, dass der Leichnam ihres Freundes jetzt den Gang hinter uns schmückte… Einer der Gefangenen – Relic, wenn ich mich richtig erinnerte – war zu derselben Erkenntnis gekommen. Vor nur ein paar Stunden hatte er uns noch mit seinem Reparaturwerkzeug bedroht, aber das „Um-dein-Leben-Rennen” vor einer Gruppe von Kannibalen ist eben eine verflixt zusammenschweißende Erfahrung. Es war nicht so, als würde er sich um Wyrick sorgen, vielmehr sah er sie als Teil seines Rudels an. Und jede Gefahr für sein Rudel war auch eine Gefahr für ihn.

Er packte den Mann am Bausch seines Operationshemds und drückte den Lauf seiner Waffe in dessen Wange. Als der Mann außer mit Gekicher nicht reagierte, feuerte Relic mit der Waffe gegen die Wand und drückte dann das jetzt zischende, heiße Metall wieder auf denselben Punkt. „Du bist ein toter Mann.“

Wyrick fing an zu weinen und ich drückte sie noch enger an mich.

Der verrückte Mann begann zusammenhangslos zu murmeln und Relic wirbelte zu ihm herum. Ich konnte erkennen, dass mehrere Injektionsnadeln in seinem Rücken steckten. „Norden, Osten, Süden, Westen. Es ist Westen, oder? Nur nicht gerade. Westen, Westen, Westen. Ich bin auf high, Wes, oben im Himmel, ich bin high. Du musst mir helfen, Wes, bevor ich falle.“

Morgan hatte seine Waffe in dem Moment angelegt, in dem sich Relic bewegt hatte, aber jetzt blinzelte er und senkte sie. „Herby?“

Die Augen des Mannes verdrehten sich und sein Kopf neigte sich schlaff zur Seite.

Morgan kam zwei Schritte näher. „Bist du das? Was zum Teufel ist mit dir passiert?“

Relic blickt mit so geweiteten Augen zwischen den beiden hin und her, dass ich das Weiß darin vollständig sehen konnte. Seine Waffe wechselte von dem Mann, von dem wir nun vermuteten, dass es Konicek war, zu Morgen selbst. „Du kennst ihn? Macht ihr gemeinsame Sache?“ Er drehte sich zu seinen Mitgefangenen um. „Wir sind in eine Falle gelockt worden. Es dreht sich alles um ihn.“

Morgans Augen verengten sich und seine Hand umklammerte die Waffe, „…was zum Teufel?“

Ich erinnerte mich daran, was Morgan über die Atmosphäre gesagt hatte. „Relic“, fing ich an und verwendete seinen Namen, um ihn zu beruhigen. „Es gibt keine Falle. Das ist der Mann, den wir gesucht haben. Er ist der Grund, warum wir hier sind.“

Wyrick drückte sich von mir weg und ich merkte plötzlich, wie sehr ich ihre Nähe genossen hatte. „Ihr Freund hat meinen Freund umgebracht“, sagte sie. Ihre Stimmung hatte sich augenblicklich von Verzweiflung in verbitterte Wut geändert. „Wir nehmen ihn nicht mit.“

Morgans Wut war von seinen anderen Gefühlen kaum zu unterscheiden, außer dass sie kälter war. Härter. Ich wusste, dass er, wenn ich nicht eingriff, Relic ohne Vorwarnung niederschießen würde und wir uns dann unseren Weg sowohl durch seine Freunde als auch durch die Patienten kämpfen müssten.

„Jetzt, Caylie… Cayla”, korrigierte ich mich schnell. Ich war gegen die veränderte Luft in dieser Station nicht immun. „Es gibt keine Beweise dafür, dass er ihn getötet hat. Diese Nadeln in seinem Rücken… offensichtlich wurde er unter Drogen gesetzt und zwar von jemanden ohne medizinische Ausbildung.”

„Du hast zehn Sekunden, um die Waffe wegzulegen”, sagte Morgan. Er rieb den Daumen und Zeigefinger seiner waffenlosen Hand kreisend gegeneinander und der Gewehrlauf wechselte unmerklich die Richtung. Ich hatte den Eindruck, er hatte einen Vorteil gegenüber Relic und nicht andersherum.

Vielleicht erkannte Relic das auch, sein Ton war fast flehend. „Er ist ein Irrer. Es wäre eine Gnade… eine Gnade für all diese Männer…”

Als er seine Waffe schwenkte, als würde er die komplette Station umspannen wollen, schoss Morgan ihm sauber durch die Schulter. Relics Waffe fiel scheppernd zu Boden und er selbst war so überrascht, dass er ihr folgte.

Ich stieß sie weg, bevor er seine Sinne zurückgewinnen konnte. Wyrick folgte mir einen Moment später und riss Relics Overall auf, um die Wunde zu untersuchen. Sie musste sich keine Sorgen machen. Wenn Morgan ihn hätte töten wollen, hätte er es bereits getan. Ich war mir sicher, dass die Wunde nicht tödlich war, höchstens eine vorübergehende Unannehmlichkeit.

„Lass mich dir helfen, Herby”, sagte Morgan. Nacheinander zog er ihm die Nadeln aus dem Rücken. Er schlug dem ehemaligen Patienten leicht auf die Wange.

„Wir müssen hier raus, Wes” murmelte Konicek. „Sie sind überall.”

Morgan nickte und ich tat einen Seufzer der Erleichterung. Wir hatten den richtigen Mann gefunden und es sah so aus, als würden wir hier alle heil rauskommen. Ich erhob mich und stand fünf schweren Männern und ihren Gewehrläufen gegenüber. Unwillig zu glauben, dass sie die Waffen auf uns richten würden, drehte ich mich um und entdeckte einen Haufen Menschen weiter hinten im Gang. Ein Dutzend Männer oder mehr standen am anderen Ende in blutbefleckten Schürzen, viele mit getrocknetem Sabber darauf.

„Ihr könnt jetzt alle eure Waffen auf den Boden legen”, sagte einer der Gefangenen hinter mir.

Ich begriff, dass die Waffen tatsächlich auf uns gerichtet waren. Wes hatte zwar das Leben von Relic verschont, das sahen sie aber offenbar anders. Einer von uns hatte auf einen von ihnen geschossen. Unsere kleine Allianz brach auseinander.

Meine Waffe fiel zu Boden. Wyrick sah zu den Gefangenen. Ihr Gesicht war zu feucht für Tränen und ich begriff, dass wir alle schweißgebadet waren, obwohl es hier nicht viel wärmer war als irgendwo anders in der Station. War das ein weiteres Symptom der giftigen Atmosphäre?

Morgan hatte seine Waffe nicht fallen lassen. „Wie glaubt ihr, an denen vorbeizukommen?“, fragte er und nickte über seine Schulter.

Ein magerer Mann mit zu wenig Zähnen sprach. „Sie sind nicht bewaffnet. Wir werden auf dieselbe Weise an ihnen vorbeigehen, auf die wir an euch vorbeigehen.” Er lächelte und zeigte damit sein auffälligstes Merkmal.

„Ihr kommt nicht von der Station – ohne sie”, sagte ich und deutete auf Wyrick. Ohne ihre Codes ging keiner von uns irgendwohin. „Sie haben Recht”, sagte Wyrick. Morgan und ich sahen zu ihr hinüber. Sie sprach nicht mit den Gefangenen. Sie sprach mit uns. „Keiner von euch.”

Sie tat einen zitternden Atemzug und streckte ihre Arme aus, als stabilisiere sie sich auf den Armlehnen eines Throns. Dann wandte sie sich zu den Gefangenen. „Ob es Ihnen gefällt oder nicht, ich bin die einzige Hoffnung, die Sie haben. Alle von ihnen. Das bedeutet, dass, wenn wir zusammenbleiben, wir auch zusammenbleiben. Ich schlage also vor, Sie legen Ihre Differenzen bei. Sofort!”

Damit drehte sie sich um und führte uns den Gang hinunter. Vielleicht war es die veränderte Atmosphäre, aber wir folgten ihr, als wäre sie Moses, der durch das Rote Meer spazierte. Und ich wollte verdammt sein, wenn sich diese Patientengruppe vor uns nicht einfach teilte und uns durch ließ, ohne viel mehr als ein Wimmern von sich zu geben.

 

Kapitel 7

Ich kannte mal einen Kerl, der von Anfang an auf OSP-4 dabei war. Er erzählte mir, dass der einzige Grund für die Trennung der forensischen Psychiatrie von dem Flügel mit den politischen Gefangenen der war, dass die Geisteskranken einen Grund für ihre Inhaftierung hatten.

Wir hatten nie geplant, dorthin zu gehen, aber als der Aufzug hielt und alle Lichter rot aufleuchteten, brach Wes Morgan die Türen auf. Es stellte sich heraus, dass der Angriff der Nova Dogs den Rumpf aufgerissen hatte. Das Einzige, das uns nun noch vom Weltraum trennte war ein Stück Stahl, das aus einer Wand geschält und unter der Kabine angebracht war.

Wir waren im Rumpf und wir alle konnten das sanfte Zischen der entweichenden Luft wahrnehmen, als wir vorsichtig hinauskletterten. Niemand wollte der letzte sein, der Ausstieg und damit einen Trip in die Schwärze des Alls riskierte. Ich ließ sie aussteigen, bis nur noch Cayla Wyrick und ich übrig waren. Auf irgendeine Art und Weise passte es. Sie war meine Therapeutin, die Frau, in deren Obhut ich mich begeben hatte, nachdem ich meines Ranges enthoben worden war. Wir blickten uns an, niemand wollte vor dem anderen die Kabine verlassen. Am Ende war ihre Willenskraft der meinen überlegen und sie folgte mir aus dem Schacht.

Direkt in den Lauf einer Pistole.

Unsere Angreifer trugen, wie die meisten von uns, Gefängnis-Orange – mit dem Unterschied, dass sie weiße Armbinden mit roten Sonnen an den Armen trugen. Sie hatten uns an der Tür des Aufzuges erwartet und einen nach dem anderen gefangen genommen und entwaffnet.

Sie führten uns durch den Gefängnisblock eine Treppe hinauf. Dort stand in einer Zentrale, in der überall zerstörte Notepads und Videobildschirme herumlagen, die ursprünglich für die Wachposten angebracht worden waren, ein Tevarin. Er war groß und muskulös, mit gräulicher Haut und er hatte uns seine Freiheit zu verdanken.

„So sehen wir uns wieder, Yusaf Asari,” sagte Morgan großspurig. Uns wurden Kunststofffesseln angelegt. Mehrere tevarinische Gefangene standen in der Nähe und hielten unsere Waffen für uns fest.

„In der Tat”, antwortete Asari. „Was machst du hier, Morgan?”

„Sightseeing. Du weißt schon, ein paar Fotos schießen und mit den Einheimischen trinken. Solche Sachen eben.”

„Wir sind zufällig hier gelandet”, warf Wyrick schnell ein. Die kleine blonde Frau mit den Nylonstrümpfen wirkte in der Masse aus blauen und orangen Uniformen, aus der unsere Gruppe nun bestand, deplatziert, aber sie war genauso Teil davon wie jeder andere von uns. „Unser Aufzug…”

„… mir ist es egal, wie ihr hergekommen seid. Ich will wissen, wo ihr hinwollt.“ Asaris Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Und sein Akzent ließ ihn die Silben an den falschen Stellen betonen. „Wir sind hier und die Piraten da draußen, niemand steht zwischen uns – außer euch. Warum? Was sucht ihr hier?”

Die Nova Dogs, eine Gruppe von Piraten angeführt von Martin Kilkenny, waren Kannibalen. Sie waren auf der Suche nach einem Gefangenen namens Martin Browning, von dem niemand je etwas gehört hatte. Um ihn zu finden, waren sie bereit, die Station in die Luft zu jagen. Sie schlugen ohne Vorwarnung zu und griffen die Kommandozentrale und die Kaserne mit haarscharfer Präzision an. Aus diesem Grund wurde Cayla Wyrick, die den zivilen Rang eines Leutnants innehatte, vom OSP-4 Computer zum Befehlshaber befördert. Sie war jetzt die wichtigste Person auf der Station und ich hatte keine Ahnung, ob Asari sich darüber im Klaren war.

„Wir wollen hier weg”, sagte Morgan stattdessen. In mir zog sich alles zusammen. Was zur Hölle tat Morgan da? Das Letzte, das wir wollten, war, diesen Jungs die Wahrheit zu sagen.

Die Tevarin um uns herum grunzten. Alle bis auf Asari. „Würde ich dich nicht kennen, würde ich glauben, du machst Witze. Wie willst du das anstellen?”

Morgan nickte in Richtung Herschel Koniceks, der immer noch den Krankenhauskittel trug, den er anhatte, als wir ihn aus der forensischen Psychiatrie retteten. „Herby ist mein Mechaniker. Er wird ein paar eingemottete Jagdmaschinen, über die Nylund Bescheid weiß, reparieren und wir werden sie benutzen, um die Blockade zu durchbrechen.”

Ich musste mir auf die Zunge beißen, damit ich Morgan nicht  anfuhr, um ihn zu fragen, was zur Hölle er vorhatte. Asari nahm diese Information gelassen auf. „Was lässt dich glauben, dass wir die Maschinen nicht selbst benutzen?”

Morgan zuckte mit den Schultern, mit gefesselten Hände wirkte diese Bewegung unbeholfen. „Herby wird nicht für euch arbeiten, oder Herby?” Konicek, der gerade wieder von den Medikamenten runterkam, mit denen die anderen Insassen ihn vollgepumpt hatten, zuckte mit den Schultern und kratzte sich mit den gefesselten Händen hinter dem Ohr.

„Wir haben unsere eigenen Mechaniker.”

„Keinen wie Herby.”

Asari sah Konicek an, der jetzt auf dem Boden kauerte und hin und her schaukelte. „Offensichtlich!“

Einer der Gefangenen im Hintergrund wollte etwas sagen, wurde aber gewaltsam durch einen Tevarin, der ihm brutal seinen Gewehrkolben in die Magengrube stieß, unterbrochen. Ich war froh, dass ich mich nicht zu Wort gemeldet hatte.

„Wir haben dir das Leben gerettet”, sagte Morgan leise. „Offenbar haben die Tevarin ein kurzes Gedächtnis.”

„Die Tevarin haben ein langes Gedächtnis.” Asaris Stirn hob sich. „Meine Leute erinnern sich an die Schlacht von Idris IV und wir erinnern uns an den Tag als Corath’Thai…”

„Schluss mit dem Theater, Yusaf. Zwei Jahre haben wir Schachzüge auf Papierschnipseln ausgetauscht und plötzlich werde ich zum Unterdrücker deiner Leute?” Morgan ging zwei Schritte auf Asari zu und jedes Gewehr im Raum richtete sich auf ihn. Er hielt an und seufzte. „Niemand empfindet mehr Sympathie für deine Sache als ich. Sobald wir von diesem Stück Müll runter sind, wird das Erste, das ich machen werde, sein, deinen Leuten die Koordinaten der Station zu geben, und das weißt du.”

Asari dachte darüber nach, während er jedem seiner Männer in die Augen sah. „Schach ist Schach. Aber ich traue dir nicht Morgen. Lass die Frau hier.”

„Klar doch, abgemacht, und jetzt nimm uns die Handschellen ab”, sagte Morgan.

Ich ärgerte mich darüber, wie schnell er Asaris Bedingungen zugestimmt hat. Er hatte Wyrick ohne einen weiteren Gedanken verkauft. Ich konnte mich nicht zurückhalten. „Wir lassen Cayla nicht zurück…”

Ein Schlag mit dem Gewehrkolben auf den Solar Plexus brachte mich schneller zum Schweigen, als ich zugeben wollte. Ich verkrampfte mich und fand mich auf dem Boden wieder, wo ich mit mir kämpfte, um nicht zu erbrechen.

Morgans Stimme drang durch das Pochen des Blutes in meinen Ohren nur undeutlich zu mir durch. „Gut gemacht, mein Junge. Die Idee war, sie zu überzeugen, dass Cayla keine wertvolle Geisel ist.”

„Das,” sagte Asari, als ich mich wieder auf die Beine gekämpft hatte, „ist genau der Grund, warum ich dir nicht traue. Die Frau bleibt und du hältst deinen Teil der Abmachung ein.

„Nein, ich…”

Ein weiterer Schlag aus dem selben Gewehr zwang mich zurück auf die Knie. Ich wusste nicht, warum ich mich wieder einmischte. Sicher, ich hatte angefangen, Wyrick während unseres Fluchtversuchs zu respektieren. Aber es war nicht meine Art, meinen Hals für jemand anderen zu riskieren. Nicht, dass ich egoistisch war. Es war nur so, dass das letzte Mal, als ich ein Risiko eingegangen war, jemand gestorben war, der mir sehr nahe stand. Ein Schwein zu sein, war in der Regel für alle Beteiligten das Sicherste. Warum also setzte ich mich für sie ein? War es, weil ich sie bewunderte, wie sie zwanzig bewaffnete Männer in der Waffenkammer nur mit dem Klang ihrer Stimme besiegt hatte? Oder war es, weil sie mir im Serverraum genug vertraut hatte, mich mit ihren Daten in das System einloggen zu lassen, obwohl sie wusste, dass ich den Zugang für meine eigenen Zwecke nutzen würde?

„Ich bin… mein Gott lasst mich aussprechen”, bellte ich, als ich sah wie der Gewehrkolben gehoben wurde. Asari sah mich an und nickte dann der Wache zu. Das Gewehr senkte sich. „Sie war diejenige, die dein Leben gerettet hat. Ohne ihre Zugangscodes wären wir alle tot. Trotz allem hat sie nie einen Mann zurückgelassen. Niemanden. Weder Serienmörder, Vergewaltiger, noch einen ehemaligen Quartiermeister mit langen Fingern. Es ist nicht einer unter uns…” Ich sah mich unter den anderen Gefangenen um und sah eine überraschend große Anzahl von ihnen zustimmend nicken. „Wenn du und deine Leute jemals erfahren wollt, auf was für einem traurigen Haufen Schrott ihr eingesperrt seid, solltet ihr uns gehen lassen.“

Soweit ich mich erinnern kann, war das eine meiner leidenschaftlichsten und besten Reden bisher. Asari, dessen Job es als Anführer der Tevarin-Minderheit auf OSP-4 war, leidenschaftliche Reden zu halten, war nicht beeindruckt. „Oder wir könnten euch einfach alle töten und wären nicht schlechter dran als vorher.”

„Ich bleibe”, sagte Wyrick. „Ich kann weder einen Jäger noch einen Transporter fliegen, ich war noch nie ein guter Mechaniker und ich werde auch nie auf jemanden schießen.” Sie kam auf ihre Füße, und obwohl sie um mindestens einen halben Kopf kleiner war als die meisten im Raum, schien sie größer zu wirken. „Ihr braucht mich nicht, um aus der Station zu entkommen.”

Ich wollte protestieren. Nicht dass wir ihre Zugangscodes gebraucht hätten, um von der Station zu entkommen, es war eher etwas Persönliches. Zum Glück unterbrach sie mich, bevor ich mich in Verlegenheit bringen konnte. „Du hast alles, was du brauchst, um die Jungs dahin zu bringen, wo sie hin müssen. Leutnant Avery Nylund, denken Sie daran, einen Suchtrupp nach mir zu schicken, wenn das alles vorbei ist, okay?”

Und mir nichts, dir nichts, haben wir sie dort zurückgelassen. Ich wartete darauf, dass Morgan, unseren ultra-kompetenten Söldner, einen Vorschlag zu ihrer Rettung machte. Sobald wir außer Hörweite waren, würde er vorschlagen, durch die Lüftungsschächte zu stürmen oder die Wachen mit Gas außer Gefecht zu setzen. Asaris Männer brachten uns stattdessen zum nächstgelegenen funktionierenden Aufzug und gaben uns Maschinengewehre anstatt der Waffen, die wir uns in der Waffenkammer besorgt hatten, und schickten uns fort.

Ich war immer noch wie betäubt, als wir Fracht Deck 1C erreichten, in dem die stillgelegten Hornets und der Ersatztransporter standen, die uns von der Station und vorbei an Kilkennys Blockade bringen sollten. Natürlich war es verschlossen und natürlich wies ich Morgan drauf hin. „Das ist der Grund, warum wir Wyrick brauchen, sie hatte alle Sicherheitscodes.”

Morgan trat von der Türkonsole weg und gab der Tür einen missbilligenden Schlag.” Nein, Wyrick ist zu klug dafür. Sie hat gewusst, dass wir ohne ihre Codes nicht weit kommen.” Er kratzte sich am Kopf und sah mich an. „Sie nannte dich Leutnant, oder?“

Das hatte sie tatsächlich. Sie hatte mich zum ersten Mal ‚Leutnant Avery Nylund‘ genannt. Selbst bevor ich verurteilt wurde und wir uns nur flüchtig kannten, hatte sie mich nie mit meinem Rang angesprochen. Dann traf es mich wie aus heiterem Himmel. Ich hatte die Datensätze meiner Verurteilung gelöscht und der Computer musste automatisch meinen Rang wiederhergestellt haben.

Mit einer gewissen Genugtuung trat ich an die Türkonsole. „Stimmerkennung: Leutnant Avery Nylund. Passwort: Was nun blöde Kuh.”

Einer der Schwerverbrecher hinter mir brach in Gelächter aus und ich spürte meine Wangen rot werden. „Was? Ich mag, wie es sich reimt.”

 

Kapitel 8

Aus ausreichender Distanz wirkt ein Raumkampf, als würden sich Glühwürmchen duellieren. Die Raumschiffe verliefen sich im grellen Licht ihrer Triebwerke, weshalb alles, was man sehen konnte, nur kleine Lichtpunkte waren, die vor sternenklarer Kulisse hin und her huschten und nur gelegentlich von heftigen Explosionen unterbrochen wurden.

„Sie schießen die Rettungskapseln ab“, sagte ich zu Morgan, als ich verstand, was da gerade passierte.

„Ich vermute, das erklärt, warum wir nur auf so wenige Wachen gestoßen sind. Oder Service Personal“, sagte Morgan achselzuckend. „Dennoch müsste man doch davon ausgehen, dass sie sie lieber an Bord bringen würden, als sie abzuschießen. Sie sind doch Kannibalen, oder nicht? Es dürfte schwierig werden, interstellaren Staub zu verspeisen.“

Es war schwarzer Humor, aber den brauchten wir. Wir hatten den Flügel mit den politischen Gefangenen hinter uns gelassen und fanden zeitweise Zuflucht im Frachtraum, in dem ein paar eingemottete Raumschiffe standen. Dort begegneten uns auch ein paar Überlebende des Angriffs –

angehende Techniker, die von Herschel Konicek angewiesen wurden, die Jäger wieder auf Vordermann zu bringen, eine alte Cutlass und eine noch ältere Hornet.

„Ich habe schlechte Neuigkeiten, Sir“, sagte ein junger Techniker in einem ölverschmierten blauen Overall. Er hatte mich nicht wegen meines Rangs angesprochen, der gar nicht erkennbar war, da ich zivile Kleidung trug, sondern weil ich der Einzige in der Gruppe war, der kein Gefängnis-Orange trug. „Ich habe zufällig gehört … äh“, verlegen deutete er mit dem Finger auf einen der Gefangenen. Ich nannte ihm seinen Namen: „Flint“. „… Ja, ähm, Flint, er sagte, sie hätten vor, mit diesen Schiffen zum Sprungpunkt des Systems zu fliegen?“

Ich bestätigte es und merkte an, dass ich ihnen unsere Pläne bereits keine zwei Tage zuvor dargelegt hatte. „Ja“, erwiderte er nervös, „nun, das sind Jagdschiffe. Das heißt, sie wurden für hohe Geschwindigkeiten modifiziert. Die Stationsleitung braucht, ähm, brauchte sie, um fliehende Schiffe abzufangen. Sie können allerdings keine Quantum-Geschwindigkeit erreichen. Sie werden Sie auf halber Strecke erwischen.“

„Gute Nachrichten, schlechte Nachrichten“, warf Morgan ein. „Geschwindigkeit ist ausschlaggebend, um eine Blockade zu durchbrechen.“ Er warf einen kurzen Blick auf das große, rechteckige Vehikel, das in der Nähe der Jäger stand. Von einem Schweißgerät, das für die Reparatur einiger Panzerungsplatten verwendet wurde, flogen Funken ab. „Was ist mit dem Transporter? Können wir den nehmen?“

„Sicher“, antworte der Techniker, langsam genug, um anzudeuten, dass das nicht alles ganz sicher war. „Das bringt uns aber zu einem weiteren Problem. Keines dieser Schiffe sollte fliegen. Auch mit der Hilfe von Herrn Konicek, glaube ich nicht, dass sie es werden. Selbst wenn wir die Systeme wieder zum Laufen bringen könnten, es gibt nicht einmal genug Treibstoff, um eines der Schiffe bis zum Sprungpunkt zu bringen, geschweige denn alle drei.“

Morgan überdachte das für einen Moment. Dann klopfte er mir auf den Rücken, was für mich ein Vorbote des Unglücks geworden war. „Nun, wie es der Zufall so will, ist unser furchtloser Anführer der frühere Quartiermeister dieser Station. Wenn jemand weiß, wo wir Treibstoff herbekommen, dann er.”

„Natürlich. Ich weiß, wo es Treibstoff gibt“, erwiderte ich. „Auf dem Flugdeck, wo er auch hingehört. Wir werden uns nur durch ein paar hundert Piraten kämpfen müssen, um dorthin zu gelangen.“

Natürlich änderte nicht einmal der schlagfertigste Konter der Welt die Tatsache, dass wir wirklich Treibstoff brauchten. Und nachdem ich ein paar Stunden über das Deck gelaufen war, kam ich mit einem Plan zurück. Ich stellte schnell unsere „Eingreiftruppe“ zusammen, indem ich die sechs Ex-Häftlinge zu mir rief, die uns schon den gesamten Weg von der Waffenkammer begleiteten. Hauptsächlich, weil sie für die Reparatur der Jäger nutzlos waren und etwas Anderes zu tun brauchten.

„Wir brauchen Treibstoff. Kilkenny und seine Männer haben aber entweder alles konfisziert oder alles, was sie gefunden haben, in die Luft gejagt. Es gibt aber noch eine alternative Treibstoffquelle, die meines Wissens nach noch verfügbar ist.“ Ich bereitete mich auf Einwände vor, bevor ich fortfuhr.

„Die Positionstriebwerke der Station. Sie haben riesige Treibstofftanks und sind immer gefüllt. Alles was wir tun müssen, ist, eine der Kraftstoffkapseln loszulösen und hierher zu bringen.”

Obwohl Relic die meiste Zeit der letzten zwei Tage reichlich von den Vorräten der Station gefuttert hatte, war er noch immer der dünnste Mann, den ich je gesehen habe. Er stand da mit einer Tube Nährstoffpaste und drückte sich etwas in seinen Mund. Er sprach, bevor er es runtergeschluckt hatte. „Was, wenn wir die Station nicht verlassen wollen?“

„Was?”

„Wir könnten hier bleiben. Wie haben genug Lebensmittel und Wasser und das Schott könnte versiegelt werden. Sobald dieser Kilkenny den Mann findet, nach dem er sucht, werden die Nova Dogs verschwinden.“

Bevor ich dazu kam, fing Morgan an zu sprechen: „Verstehe ich das richtig? Ein Haufen Gefangene, die nicht aus dem Gefängnis fliehen wollen? Ich weiß, vorausschauendes Denken ist nicht deine Stärke, Relic, aber wie lautet dein Plan für die Zeit, wenn Kilkenny verschwunden ist? Auf die Behörden warten, um zurück in deine Zelle zu wandern? Was, wenn Kilkenny die Station gar nicht verlässt? Er wird die Station auf der Suche nach diesem Martin Browning auf den Kopf stellen. Und wenn das bedeutet, einige Türen aufbrechen zu müssen, wird ihn diese Versiegelung nicht aufhalten.“

Relic war unverdrossen. „Dann muss eben jemand diese Jäger bewachen.” Er setze sich wieder hin und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. „Wir werden auf sie aufpassen, bis ihr zurück seid.”

Ein anderer Gefangener, tätowiert mit Glatze, Bauchansatz und Stoppelbart erhob sich langsam und unheilvoll. Flint war der Mann, den die Techniker am meisten fürchteten und das aus gutem Grund. Er sprach nur selten, aber wenn er es tat, klang alles, was er sagte, furchteinflößend. „Ich traue den beiden Kerlen nicht zu, dass sie das alleine schaffen. Und ich traue euch Kerlen nicht zu, diese Schiffe zu bewachen. Wir gehen mit ihnen und ich werde jeden Mann umbringen, der das Gegenteil sagt.“

Selten war ich einem verurteilten Mörder so dankbar gewesen. Unter seinem wachsamen Blick wurden die fünf verbliebenen Ex-Häftlinge aus ihrem Unterschlupf zum Aufzug geführt, damit die Techniker und Herschel Konicek in Ruhe ihre Arbeit erledigen konnten. „Glaubst du, sie werden noch hier sein, wenn wir zurückkommen?” fragte ich Morgan.

„Das werden sie“, antwortete er. „Auf Herby ist Verlass.“

‚Herby‘ war verrückt, aber ich traute Morgan und das bedeutete, dass ich im weitesten Sinne auch dem Irren traute. Wir befanden uns genau in der Mitte zwischen den beiden Positionstriebwerken. Um eines davon zu erreichen, mussten wir das Besucherzentrum passieren und ich war mir ziemlich sicher, dass Kilkenny dort seine Operationsbasis aufgeschlagen hatte. Die Idee, Relic und seine Kumpels direkt unter der Nase des Anführers der Nova Dogs und seiner Männer vorbeischleichen zu lassen, fand ich nicht sonderlich reizvoll. Außerdem jagte mir Kilkenny eine Heidenangst ein, also strich ich diese Idee von meiner Liste. Schließlich stoppte der Aufzug und eine Anzeige blinkte auf, um uns zu sagen, dass der Schacht blockiert war. Wir öffneten die Türen und hörten ein Zischen, als die Luft in das Vakuum des Weltraums gesogen wurde. Wir befanden uns zwischen zwei Etagen. Ich konnte nur den unteren Teil der Buchstaben erkennen, die das Wort „Kommando“ auf der Seite des Schachts bildeten. Wir hatten unser Ziel erreicht.

Wir warfen unsere Waffen durch die schmale Öffnung und kletterten einen nach dem anderen in das Kommando-Deck hinauf. Ich war hier bereits zahlreiche Male, aber ich konnte hören, wie einige der Gefangenen pfeifend ausatmeten. Das OSP-4 war kein kleines militärisches Schiff mit einem engen, geschlossenen Raum. Das Kommando-Deck sah eher wie ein Flur in einem Bürogebäude aus. Zahlreiche Videobildschirme hingen an jeder Wand, die meisten waren durch die explosionsartige Druckabnahme zertrümmert. Scherben aus durchsichtigem Plexiglas trieben durch die Schwerelosigkeit wie Wassertropfen aus gefrorenem Regen. Regenbögen erschienen an den Wänden, als das Licht der nahegelegenen Sonne durch einen gezackten Riss in einer der Wände schien. Ich ging weiter und fühlte bei jedem Schritt eine schwache Anziehung durch meine magnetischen Schuhe.

Ich hörte Morgan verzerrt über Funk. ”Das ist es also? Die ganze Station wird von einem Haufen Sesselfurzer geleitet.“

Relic klang genauso beleidigt. „Das ist eine Kaffeemaschine…” Er gab dem beleidigenden Haushaltsgerät einen Stoß, wodurch es sich um seine Achse drehte und dabei Kristalle aus gefrorenem Kaffee und Sahne verlor.

„Ich habe es verstanden. Man achtet nicht auf den Mann hinter den Kulissen und so weiter. Können wir jetzt weitergehen?“

Ich ging zu dem Loch in der Wand und stoppte. Ein blauer Uniform-Stofffetzen hing an dem verbogenen Metall. Darunter trieben die schockgefrorenen Teile einer Person. Ich wandte meinen Blick ab, bevor ich erkennen konnte, wer es war. Stattdessen achtete ich darauf in gebührendem Abstand aus dem gezackten Loch nach draußen zu blicken. Es war lediglich die konvexe Form der Schubdüsen erkennbar.

Ich drehte mich rechtzeitig um, um zu sehen, wie Flint mit der Rückseite seiner Hand eine Tastatur berührte.

„Hey“, sagte ich ein wenig zu energisch. Ich änderte meinen Tonfall schnell, als mir einfiel, mit wem ich da sprach. „Das mag vielleicht wie eine Büroetage aussehen, aber eigentlich ist es das Nervenzentrum eines Hochsicherheitsgefängnisses. Es gibt hier Sicherheitsmaßnahmen. Gefährliche Sicherheitsmaßnahmen. Denkt daran… die UEE verhandelt nicht mit Terroristen.“

Ich konnte Flints Gesicht durch die Kuppel seiner Frontblende kaum sehen, zu wenig, um seinen Gesichtsausdruck zu erkennen.

Plötzlich piepste mein Comm auf und ein rotes Licht begann in meinem Helm aufzuleuchten. „Was hast du getan?“, fragte ich Flint schnell.

Er zuckte mit den Achseln.

Eine tiefe Stimme kristallisierte sich aus dem Rauschen heraus, eine Stimme, die eine schwache Betonung auf die falschen Silben legte, so als ob der Mund, der sie sprach, nicht richtig funktionierte.

„Bewohner von OSP-4. Ihr habt mich sehr enttäuscht.“

„Das ist Kilkenny“, sagte Relic.

„Weiß ich. Halt die Klappe.“

„Ich hatte gehofft, es gäbe hier unter euch einen Mann, der sich über seinesgleichen erheben will, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Die natürliche Selektion scheint ein langsamer und lästiger Prozess zu sein, also gebe ich jetzt das Signal und teile euch damit euer Ende mit. Falls Martin Browning seinen Tod nicht wie ein Mann empfängt, werde ich ihn ihm wie ein Gott liefern.“

Die Beleuchtung in meinem Anzug flackerte kurz und erlosch dann ganz.

Auf einmal hob sich unerwartet ein Teil des Bodens und katapultierte Relic in die Luft. Seine magnetischen Stiefel hielten für eine spärliche Sekunde, gaben ihn dann frei und ließen ihn eine unkontrollierte Rolle machen. Weil wir ihm alle zusahen, bemerkte keiner den Waffenturm, der aus dem Bodenstück fuhr, das Relic in die Luft geschleudert hatte. Vielleicht hatte Kilkenny die Abwehrmechanismen des Gefängnisses aktiviert oder Flints Berührung der Tastatur hatte die Dinge ins Rollen gebracht, die schlecht für ihn enden würde. Es war egal. Ich hatte gerade meine Augen gesenkt, um den Knopf zu finden, mit dem das Comm aktiviert wurde, als ich bemerkte, wie sich der Geschützturm in die Richtung von Flint drehte.

Der Schuss fiel unglaublich schnell und ich konnte seine Verwundung von dort, wo ich stand, nicht erkennen. Flints Unterkörper blieb mit seinen Magnetstiefeln am Boden verankert, sein Oberkörper aber fing an herumzutreiben.

„Wir müssen weg”, rief ich. Ich griff mir die treibende Kaffeemaschine aus der Luft und schleuderte sie in Richtung des Geschützturms, in der Hoffnung er würde sie verfolgen.

Morgan schnellte herum und wusste genau, was er da ansah. „Los, los, los, los!” Er feuerte einige Schüsse auf den Turm ab, allerdings waren die Waffen, die uns die Tevarin übrig gelassen hatten, bestenfalls minderwertig und schafften es nicht, seine Panzerung zu durchdringen. Blitzartig fuhr der Turm herum, feuerte dreimal auf die Kaffeemaschine und hinterließ nicht mehr als einen Sprühnebel aus geschmolzener Schlacke.

Ich erreichte den Aufzug, warf meine Waffe durch den schmalen Spalt und rutschte dann selbst hindurch, indem ich mich durch den schmalen Raum zwischen den Etagen drehte. Meine magnetischen Stiefel hakten sich automatisch am Fußboden des Aufzugs ein und zwangen mich zu einer schnellen Duckbewegung, als Morgan durch die Öffnung hinter mir gerutscht kam. Zusammen zogen wir zwei weitere Männer in den Aufzug. Als niemand mehr kam, riskierte ich einen kurzen Blick über die Kante der Etage. Drei Körper wirbelten mit durchlöcherten Raumanzügen durch die Luft des Kommando-Decks. Der Geschützturm schwenkte in meine Richtung und ich starrte plötzlich für einen beängstigenden Augenblick in dessen Lauf, bevor ich mich wieder wegduckte und auf den Abwärtsknopf hämmerte.

 

Kapitel 9

Das Besucherzentrum eines Super-Max-Gefängnisses ist oft der einzige Ort des gesamten Komplexes, an dem Gefangene ihren gewalttätigen Ruf beiseite legen können, den sie sich selbst angeeignet haben. In einer so abgeschiedenen Einrichtung wie OSP-4 müssen Familien Tausende von Credits aufbringen und lange Reisen auf sich nehmen, um ihre geliebten Menschen treffen zu können, die dort inhaftiert sind. In Ausnahmefällen erklärt sich das Gefängnis auch dazu bereit, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Es gibt eine Menge Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass ein Gefangener, der den sozialen Kontakt zu seinen Geliebten aufrecht erhalten darf, sich fügsamer verhält und einfacher im Umgang ist. Es ist eine Investition, die sich auf lange Sicht auszahlt.

Jetzt war das Besucherzentrum aber das neue Zuhause der Nova Dogs, einer Gruppe Piraten, die von einem Mann namens Martin Kilkenny angeführt wurden, einem Kannibalen mit Gotteskomplex. Ich wollte eigentlich einen großen Bogen darum machen, aber wir brauchten Treibstoff, um von OSP-4 fliehen zu können und die einzig uns bekannte verfügbare Quelle war auf der anderen Seite dieses Zentrums.

Wir waren so nah, dass wir unsere Comms ausschalten mussten. Sogar ein verschlüsseltes Signal gab ein verräterisches Rauschen ab. Stattdessen waren wir auf kurzes Geflüster angewiesen, als wir durch einen engen Wartungsschacht krochen. Das war in unseren Raumanzügen kein einfaches Unterfangen. Früher hatte ich diese Tour allerdings mehrere Male mit einer Tasche voll verbotener medizinischer Vorräte, die an meinem Bein befestigt war, gemacht, deshalb ging ich auch voraus. Der einfachste Weg, sich zu fortzubewegen, war es, auf den Ellenbogen zu robben und ich kam damit gut voran. Die anderen hatten allerdings Probleme.

„Das wäre ohne die Raumanzüge um einiges einfacher“, murrte eine Stimme hinter mir. Dem Tonfall nach war es Relic. Der andere Ex-Häftling, Pike, hatte eine tiefere Stimme und sprach zudem nur selten. „Es wäre zu laut, sie hinter uns herzuziehen und auf der anderen Seite brauchen wir sie wieder. Davon abgesehen läuft hier genug Strom durch die Leitungen, um dich auf der Stelle zu braten. Die Isolierung des Anzugs sollte zumindest ein wenig Schutz gegen Kurzschlüsse bieten.“ Ich entdeckte eine Bewegung durch das Zugangsgitter vor uns. „Und jetzt haltet die Klappe, bevor uns die Nova Dogs hören.“

Obwohl wir den Schaden, den Kilkennys Männer angerichtet hatten, gesehen hatten und durch Teile der Station reisen mussten, die bis zum nackten Weltraum offen waren, waren wir den Piraten selbst nur selten begegnet. Jetzt konnte ich ihre Truppe zum ersten Mal in Ruhe durch ein schmales Zugangsgitter betrachten.

In einem kleinen Bereich, zirka zehn Meter entfernt von uns, gab es Dutzende von ihnen. Sie trugen Raumanzüge, die einem Dutzend unterschiedlicher Streitkräfte und sogar Zeitepochen zugeordnet werden konnten. Einige waren sogar mit Teilen von Anzügen zusammengeflickt, die einst fremden Rassen gehört haben mussten. Viele waren nur notdürftig mit dicker, teerartiger schwarzer Farbe angemalt, so dass die Originalfarbe noch durchschimmerte. Nur wenige trugen Helme, der Rest bevorzugte es, ihre aufwendigen Frisuren zu präsentieren – meistens Varianten eines Irokesenschnitts mit langen, geflochtenen Koteletten und Nacken- sowie Gesichtstattoos.

„Ich hänge fest.“

Die Stimme gehörte zu Pike, unserem Meister im Umgang mit Worten. „Keine Panik“, zischte jemand laut. „Ich bin nicht panisch, ich hänge nur fest.“

Ich sah zu Wes Morgan. Er zog die Augenbrauen hoch und blickte dann zurück zum Ende des Schachts. Ich hörte eine Reihe dumpfer Schläge.

„Wenn du mich noch einmal trittst, schieße ich dir in den Arsch.“ Pike wurde nur langsam sauer, aber jetzt konnte ich einen Anflug von Ärger in seiner Stimme hören. Außerdem wurde er lauter und mein Blick zuckte besorgt zurück zum Zugangsgitter. Die Nova Dogs waren selbst ein lautstarker Haufen, aber einer von ihnen, ein Mann mit Vollbart und wildem schwarzen Haar, hatte jetzt seinen Kopf in unsere Richtung gedreht.

„Haltet die Klappe“, zischte ich.

„Sollen wir ihn zurücklassen?“, fragte Relic.

„Ihr lasst mich hier nicht zurück.“ Pikes Aussage war endgültig, eine Drohung war unnötig.
Es klang nicht so, als würde auch nur einer von ihnen ihre Stimmen senken. Tatsächlich wurden sie noch lauter. Der bärtige Pirat war inzwischen aufgestanden und begann auf uns zuzugehen, sein Gewehr hielt er locker in einer Hand.

„Letzte Warnung, Leute. Seid still.“ Der Schacht war sehr eng, aber ich tat mein Bestes, zur anderen Seite zu robben, außer Sicht des Zugangsgitters. Er war unter uns weit genug, damit der Blickwinkel mich verstecken würde, aber ich wollte nicht, dass er eine Bewegung ausmachen konnte.

„Ihr werdet mich hier rausholen. Ich werde hier nicht sterben.“ Ich hörte den Klang von zerknittertem Aluminium und Klopfgeräuschen, als Pike versuchte, sich selbst zu befreien.

Jemand fluchte und dann ertönte ein Alarmruf von dem Piraten unter mir. Schüsse durchschnitten die Luft und Funken stoben aus der Wand des nächstgelegenen Schachts. Löcher erschienen in einer Reihe und reichten von der unteren Ecke bis zur Decke nur knapp über meinem Kopf.

Hinter mir begann Pike in Panik zu geraten und krallte sich an Relic, der verzweifelt versuchte, ihn wegzustoßen. Morgan, der von uns die meisten Erfahrung hatte, versteckte sich in einem der seitlichen Lüftungsschächte neben dem meinen.

„Wir müssen hier raus!“

„Wie?“, rief ich zurück. „Auf unseren Händen und Knien? Wir sind durchlöchert, bevor wir auch nur zwei Meter weiter wären.“

„Dann überleg dir was!“ Morgan setzte sein Gewehr ab und drehte es so, dass es diagonal nach unten zeigte. Die Waffe passte auf diese Weise gerade so in den Schacht. Er drückte den Abzug und ließ es dann durch Rückstoß zur Seite schnellen, während es noch immer Kugeln ausspie. Ich hörte Schreie von unten, dann wurde das Feuer erwidert.

Wir saßen fest.

Ich musste uns hier raus holen und das schnell. Als ich mal beinahe mit Schmuggelware gefangen worden wäre, hatte ich diese Schächte verlassen, indem ich den Feueralarm auslöste.

An der Decke über uns verlief ein Bündel Kabel. Ich zog ein kleines Messer aus dem Ausrüstungsgürtel des Raumanzugs und schnitt zwei davon durch, wieder einmal dankbar dafür, dass der Anzug isoliert war. Ich verband sie und wurde nur mit sprühenden Funken belohnt. Schnell schnitt ich zwei weitere Kabel durch und verband sie. Dieses Mal begannen die Lichter aufzuleuchten und eine Sirene irgendwo in der Nähe zu klingeln.

Der einfachste Weg, ein Feuer auf einem Raumschiff zu löschen, ist, es im kalten Vakuum des Weltraums zu ersticken. Metallplatten senkten sich über die Gitter, versiegelten sie so dicht wie möglich und dann erschien am hintersten Ende des Tunnels ein nadelloch-großer Lichtpunkt, als die Außentür geöffnet wurde. Sofort begann die Luft um uns herum zu pfeifen und ich spürte, wie sie mich mitzog. Mein Raumanzug schrammte am Metall entlang, als ich gegen die Wände und Decke geschleudert wurde.

Dann war ich im Weltraum.

Sterne wirbelten um mich herum, danach kam die Station wieder in mein Blickfeld. Ich konnte mich selbst hyperventilieren hören, als ich erkannte, dass ich in Richtung eines Tausende Kilometer entfernten Planeten fiel. Eine Metallantenne erschien in meinem peripheren Sichtfeld und ich griff mit meiner Hand danach. Mein Griff war so fest, dass ich mir fast den Arm aus der Halterung gerissen hätte.

Dann tauchte ein bläulicher Blitz auf, ich griff blind mit meiner anderen Hand danach. Wie durch ein Wunder erwischte ich Morgans Hand und hielt sie fest. Ich schwang ihn zur Antenne neben mir. Morgan, der sich im Weltraum wohler fühlte als ich, nutzte den Schwung, um mit den Füßen voran zu landen und seine magnetischen Stiefel daran festklammern zu lassen. Ein weiterer Körper kam trudelnd in unsere Richtung und ich konnte die Schreie über Funk hören. Morgan streckte seine Hand aus, traf dabei aber nur Relics Hüfte, wodurch er weiter von uns weg wirbelte.

Ohne zu zögern, drückte er ein Ende des Gewehrs in meine Hand, stieß sich von meinem Knie ab und drehte sich dabei um sich selbst. Seine Füße trafen die Brustplatte des Raumanzugs und die magnetischen Stiefel rasteten an dem Metall-Plastik-Kunststoff ein. Ich spürte einen enormen Zug am Gewehr und für einen Moment schien es sich wie eine Nabelschnur zwischen uns auseinanderzuziehen. Dann ließ er nach und ich konnte beide zurückziehen.

Dem nächsten Raumanzug folgte eine Wolke aus roten und silbernen Kristallen und als sich die Brust in das Blickfeld drehte, konnte ich mehrere große Löcher erkennen, aus denen keine Luft mehr strömte. Für Pike war es zu spät.

„Nylund“, hörte ich Morgans Stimme über Funk, „wir haben ein Problem.“

Relic wurde angeschossen. Die Kugel hatte ihn zwar verfehlt, dafür aber für einen tiefen Riss in seinen Anzug gesorgt, aus dem pulverförmig Luft in das Nichts strömte. Ich hatte keinen Patch dafür und außerdem wäre sowieso nicht genug Zeit gewesen, ihn anzubringen. Relics Augen waren geweitet und er geriet in Panik, als er verzweifelt versuchte, die entweichenden Luftkristalle vergeblich zurück in seinen Anzug zu stopfen. Seine Temperaturanzeige stürzte rapide ab und die Venen auf seinen Wagen röteten sich in einem verworrenen Muster.

Ich wollte etwas sagen, um ihn zu beruhigen, aber ich stellte fest, dass ich nur über ihn wusste, dass er uns bei unserer ersten Begegnung beinahe mit einer Reparaturwaffe umgebracht hätte. Mir ist nichts Besseres eingefallen, als seine Hand fest zu drücken und zu flüstern, dass alles ok war. Immer und immer wieder. Es war okay.

Seine Wangen und Nase waren bereits schwarz und seine Lungen hob sich für Luft, die nicht mehr da war. Seine Augen fanden die meine und verharrte dort für eine gefühlte Ewigkeit. Ich wusste nicht genau, wann er starb. Ich bin mir nicht sicher, ob man das jemals weiß.

Morgan und ich versteckten uns im Schatten der Treibstofftanks, als Piratenjäger nahe der Hülle vorbeiflogen, um nach Überlebenden zu suchen. Zwei schnelle Feuerstöße ließen erkennen, dass sie die Körper von Relic und Pike lokalisiert hatten. Es war eine Einäscherung der grausamsten Art.

Wir warteten mehrere Stunden, bevor wir Konicek das Signal gaben, mit den Jägern und dem Transporter zu kommen. Sobald sie die Sicherheit des Frachtraums C verließen, hätten wir nur wenige Minuten, um sie zu betanken, bevor die Instrumente der Piraten sie erfassen würden.

Danach wäre jeder sich selbst der Nächste.

 

Kapitel 10

Ich habe bereits Jäger geflogen, die mitten im Kampf aufgetankt wurden. Man ist leichte Beute, wenn man für wertvolle Minuten neben einem Tanker steht, der in Wirklichkeit nicht mehr ist, als ein explosiver Metallklumpen, der jederzeit hoch gehen kann. Egal wie intensiv das Kämpfen wird, du bist wie gelähmt, während sich die Treibstoffanzeige langsam füllt. Dein Vogel braucht Treibstoff. Es ist die einzige Konstante im Kampf. Es ist das Ausgeliefertsein, das am meisten stört.

Auf dem Rumpf der Orbital Supermax wurde mir die wahre Bedeutung des Ausdrucks „leichte Beute sein“ klar. Wir tankten nicht einfach nur einen Jäger nach. Wir saugten Treibstoff aus einer der Manövrierdüsen der Station ab, um zwei Jäger und den Tanker zu befüllen, den Herschel Konicek um die Station herum von Frachtraum C hierher geflogen hatte. Und anstatt vor normalen Feinden versteckten wir uns vor den Nova Dogs, einem Haufen Piraten, die von Kapitän Martin Kilkenny angeführt wurden, einem Kannibalen, der gedroht hatte, jeden Gefangenen auf der Supermax zu verspeisen.

Als erstes haben wir die Jäger befüllt und Wes Morgan flog mit der Hornet einen weiten Bogen, in der Hoffnung die Nova Dogs von unserer Nachtank-Aktion abzulenken. Ich saß in der Cutlass. Es war eine Weile her, seit ich eine geflogen hatte, aber die Erinnerungen kamen schnell zurück. Schub, Fluglage, Waffenkontrolle. Check.

„Ein Gegner, unterhalb 12 Uhr”, funkte Konicek vom Tanker. Ich blickte Richtung zwölf Uhr und dann nach unten. Aus purem Pech hatte ein einzelner Nova-Dog-Jäger uns irgendwie erfassen können, obwohl wir uns nahe an der Stationshülle befanden.

„Ich sehe ihn”, antwortete ich, während ich die Systeme der Cutlass hochfuhr. Eine Start-Checkliste erschien im HUD, die ich aber übersprang, um sie sofort von der Station weglenken zu können. „Ich brauche ungefähr zwanzig Minuten”, sagte Konicek über Funk. Ich seufzte. Er hätte genauso gut einen Tag angeben können. Ich glaubte nicht, dass wir überhaupt ein Zeitfenster hätten.

Der Nova Dog schien nicht sonderlich beunruhigt zu sein, als ich mein Schiff in seine Richtung lenkte. Ein Funkspruch ging durch das Comm ein. Nach drei Tagen der Belagerung konnte ich mir gut vorstellen, dass sie beim Anblick eines nicht identifizierten Schiffes verwirrt waren. Das Flugdeck war zerstört und mit ihm die beiden funktionierenden Jäger. Sie hatten keine Ahnung, dass es uns gelungen war, die beiden eingemotteten Jäger, die schon länger im Lager waren als ich auf Station, zu reparieren. Ich hatte nicht vor, ihm die Möglichkeit zu geben, Alarm zu schlagen.

Schnell verlegte ich die Energie auf die vorderen Schilde und schoss mit maximalem Schub auf ihn zu. Die Massenträgheit presste mich mit einer Kraft in den Pilotensitz, die meine Sicht an den Rändern verdunkeln ließ. Sobald ich das Aufschaltsignal meines Scanners für den Nova Dog hörte, drückte ich den Feuerknopf. Mehrere Feuerstöße blitzten in der Leere auf und sorgten für kleine Explosionen an der Hülle und auf den Flügeln des Gegners. Die zweite Salve endete in einem hellen Schimmer. Er hatte seinen Schilden jetzt maximale Energie zugeteilt. Seine Triebwerke gingen flackernd aus und dann glitt er hinunter Richtung Station, um Deckung zu suchen.

Ich zwang mein Schiff in eine scharfe Linksdrehung, um ihn weiterverfolgen und weiterfeuern zu können. Energieblitze schlugen in seine Schilde ein. Er vollführte eine Fassrolle nur knapp an einer Antenne vorbei, die plötzlich in meinem Blickfeld auftauchte. Ich feuerte und zerschoss die Antenne. Meine Schilde leuchteten in einem ungesunden Blau auf, als die Metallstücke an mir vorbeiflogen. Als sich die Trümmer lichteten, hatte ich fast 50 Prozent der Energie meiner altersschwachen Maschine verloren.

Wir waren jetzt nah an der Station, so nah, dass ich die Lichter in den Fenstern an mir vorbeifliegen sah. Ich gab Vollgas, katapultierte mich von der Station weg, um dann wieder mit voller Fahrt zurückzukehren. Instinktiv drehte sich mein Gegner und seine Schilde schrammten an der OSP-4 entlang, glühten für einen Moment auf und brachen dann zusammen. Mein nächster Schuss verwandelte ihn in einen Feuerball, der genauso schnell wieder verschwand, wie er erschienen war.

Ich reduzierte den Schub und näherte mich der Station. Für den Moment war ich allein, nur mein Funk zischte mit geordnetem statischen Rauschen, das fast wie Worte klang. Seltsam, ich wechselte den Frequenzbereich und fing die Geräusche eines Feuergefechts auf. Schreie wurden von schnellen Feuerstößen von Projektilwaffen unterbrochen. Die Nova Dogs griffen jemanden auf der Station neben mir an und ihnen wurde die Hölle heiß gemacht.

Ich konnte mir nicht vorstellen, wem es drei Tage nach der Belagerung noch möglich war, auf diese Weise Widerstand zu leisten. Die zurückgebliebenen Wachen waren tot und jeder, der es geschafft hatte, in einer Fluchtkapsel zu fliehen, war von den Piraten abgeschossen worden. Plötzlich stand mein Herz still. Tatsächlich gab es noch eine Gruppe, die bewaffnet und organisiert war. Immerhin hatten sie unsere Waffen gestohlen.

Ich aktivierte den Funk, während ich den Jäger so nahe an die Station manövrierte, wie ich es mir zutraute. Ich nutzte das An- und Abschwellen des statischen Rauschens, um ihre Position zu triangulieren. Ich spreche von „ihr”, denn obwohl es sich bei der Gruppe, die ich versuchte, zu lokalisieren, ohne Zweifel um die Tevarin handelte, versuchte ich doch, deren einzigen Gast zu finden. Cayla Wyrick. Meine Therapeutin.

Aus dem Augenwinkel sah ich eines der Stationsfenster unregelmäßig flackern. Die Messwerte zeigten keinen Sauerstoff an, das bedeutete, dass der Bereich bereits durchlöchert war. Wer auch immer sie waren, sie mussten in Raumanzügen kämpfen.

Ich riskierte eine Übertragung. „Cayla?”

Die Kampfgeräusche ließen kaum nach, aber ich dachte, ich konnte ihre Stimme weit entfernt hören. Diese Hoffnung, auch wenn es nur Einbildung war, reichte mir. Euphorisiert übernahm ich wieder die Steuerung und drehte die Nase des Jägers in Richtung Station. Ich war jetzt so nah, dass ich die tobende Schlacht durch das Aussichtsfenster sehen konnte. Eine Seite trug unterschiedliche Raumanzüge, die mit einer teerartigen Farbe beschmiert waren. Die Anderen das Rot und Blau des Stationspersonals. Es war aber kein Personal, es waren die Tevarin.

„Lieber Yusaf Asari”, rief ich über Funk. „Ich schlage vor, du ziehst dich mit deinen Männern zurück. In Liebe, der Typ, der seine Klappe nicht halten kann.“

Wider jede Erwartung sah ich, wie einer der Männer in den roten Raumanzügen seine Hand an seinen Helm presste, an die Stelle, wo sein Ohr sein müsste und dann aus dem Fenster genau zu mir blickte. Das musste ein teuflischer Anblick sein. Eine gewaltige Cutlass, deren Positionsdüsen überall auf der Hülle sporadisch feuerten, keine zehn Meter entfernt vor dem Fenster. Er drehte sich um und gab seinen Männern das Zeichen, sich zurückzuziehen. Ich ließ das Schiff ein wenig nach links treiben. Mein Zielcomputer würde keine ‚Menschen’ erfassen, also begab ich mich händisch in eine Linie zu den schwarzgestreiften Raumanzügen und drückte dann ab.

Die erste Explosion verwandelte die Hülle in ein weiß glühendes Stück Metall, die zweite schleuderte geschmolzene Metallklumpen in die Horde Piraten. Sie brauchten mehrere Sekunden, um die Quelle dieses neuen Angriffs zu identifizieren, aber bis dahin hatte ich bereits ein großes Loch in die Hülle geschossen und fast die Hälfte der Männer niedergemäht. Einige erwiderten das Feuer mit einzelnen Feuerstößen aus ihren kleinen Handfeuerwaffen, die problemlos von meinen Schilden absorbiert wurden. Ich veränderte meine Position leicht und setzte mein Kugelhagel fort. Es dauerte nicht lange, bis sie um ihr Leben rannten und die Tevarin ihre Fäuste in die Höhe rissen.

Allerdings war ich noch nicht fertig. Ich senkte die Schilde, bewegte vorsichtig den Steuerknüppel und drehte den Jäger. Nur mit Hilfe der Manövrierdüsen glitt ich durch das Loch, das ich gerade in die Hülle der Station geschossen hatte. Der Kollisionsalarm begann in meinen Ohren zu dröhnen, während mein Blick auf der winzigen Anzeige klebte, die für Landemanöver genutzt wurde und mein Schiff in Relation zum Deck anzeigte. Wenige Sekunden später schwebte ich in der Mitte der Stationsbucht, wo der Kampf zwischen den Tevarin und den Piraten gerade abrupt geendet hatte.

Es war unglaublich schwer, die Nase des Jägers in Position zu halten, aber ich zog sie leicht hoch und richtete die Waffen auf Yusaf Asari und den Rest der roten Raumanzüge.

„Du weißt, was ich will, Asari”, sagte ich über Funk. Verwirrt senkten die Tevarin ihre Fäuste. Einige richteten ihre Gewehre auf mich, andere erkannten die Sinnlosigkeit hinter dieser Geste und blickten zu ihrem Anführer. Ich schob den Jäger ein Stück in seine Richtung. „Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nicht ohne sie gehen werde.”

Ein langer Augenblick verstrich.

Ich begann zu schwitzen. Die Tevarin waren keine Piraten. Sie hatten vielleicht kleinere Verbrechen begangen, aber jeder wusste, dass sie nur nach OSP-4 anstatt in lokalen Gefängnissen geschickt worden waren, weil sie der falschen Spezies angehörten. Asari wusste, dass ich sie nicht niedermähen würde. Aber vielleicht würdigte er das Risiko, das ich auf mich genommen hatte. Denn am Ende war er ein Tevarin, der eingesperrt worden war, weil er sich für sein Volk ausgesprochen hatte. Ich sprach für das meine.

„Wes Morgan ist ein Mann, der einen Anreiz braucht, um seine Versprechen zu halten”, sagte Asari schließlich. „Aber du hingegen hast gezeigt, dass du deine Versprechen einhältst, selbst wenn es dich selbst viel kostet. Für dich brauche ich keine Geisel. Nimm sie und halte dein Versprechen.“

Eine zierliche Gestalt in einem roten Raumanzug bewegte sich von den Tevarin weg und überquerte das Deck im Laufschritt. Ich öffnete die Frachttür und sie kletterte in den Laderaum. Sie setzte sich auf den Navigatorsitz und ich stellte den Druck im hinteren Teil des Schiffes wieder her, so dass sie den Helm abnehmen konnte. Wenige Augenblicke später spürte ich ihre Hand auf meiner Schulter. „Ich wusste, dass du für mich zurückkommen würdest.”

Aus irgendeinem Grund fand ich keine Worte. Ich schluckte, holte tief Luft und drückte ihre Hand. ”Okay”, sagte ich, nachdem ich mir einen Moment Zeit genommen hatte. „Warte kurz. Das könnte etwas eng werden.“

Ich übernahm die Steuerung und hörte das Zischen der Manövrierdüsen durch die Schiffshülle, als der Jäger langsam begann, seitwärts zu driften.

„Avery”, sagte Cayla mit angespannter Stimme, als versuchte sie bemüht ruhig zu bleiben.

„Was?“

„Avery!”

„Was?”

Ich fühlte, wie das Schiff schlingerte und die Schadensindikatoren anfingen zu blinken. Ich riss an den Steuereinheiten und versuchte die plötzliche Bewegung zu kompensieren, aber es war zu spät. Wir drifteten vorwärts. Einer der Geschütztürme hatte sich an der Hülle verfangen und war stark verbogen. Funken schlugen aus dem beschädigten Gelenk zwischen Jäger und Waffe, als es immer weiter nachgab, bis es abbrach und davon trudelte.

„Die Nova Dogs sind zurück und haben eine Art schulter-montierte Waffe dabei”, sagte Cayla. „Sie werden nochmal feuern.“

Wir waren noch nicht ganz aus der Stationshülle und es gab keinen Platz zum Ausweichen.  Ich griff nach einer der Cockpitstreben und drückte mich in den Sitz, als wir getroffen wurden. Die Explosion schleuderte uns herum und aus dem Loch der Station. Ich ignorierte alles andere, hämmerte auf die Schilde, um sie wieder hochzufahren und lenkte uns dann zurück ins All.

Ich untersuchte unsere Schäden, während sich OSP-4 immer weiter von uns entfernte. Der Rumpf war an zwei Stellen mit Narben übersät und das Triebwerk hatte einige kleinere, kosmetische Schäden abbekommen. Am meisten Sorgen bereiteten mir aber die fehlenden Teile des Geschützturms. Daran hing noch eine von zwei zuvor miteinander verbundenen Neutronenkanonen und ich hatte Sorge, die verbliebene Waffe abzufeuern, aus Angst vor einem Kurzschluss oder einer elektrischen Fehlfunktion. Ich musste mich wohl auf die Kanonen auf den Flügeln und den Laserrepeater unter der Nase verlassen.

Der Funk piepste neben mir. Es war Morgan.

Cayla hörte es auch. „Ignorier ihn.“

Ich blickte auf. Meine Hand ruhte über dem Funkgerät. „Warum?“

„Es gibt da etwas, das du wissen solltest.“

 

Kapitel 11

Worte sind mächtige Waffen. Sogar ganz alleine tragen die richtigen Worte eine Macht in sich. In Form eines Satzes können sie ein Gefühl der Angst im Zuhörer hervorrufen. Der Satz, der immer die meiste Angst in mir hervorrief, lautete: „Es gibt etwas, das du wissen solltest.“

Cayla Wyrick äußerte exakt diese Worte, als wir uns rasant von den beschädigten Überresten der Orbital Supermax entfernten.

„Kann das warten?“, fragte ich. Wir hatten den Tankvorgang abgeschlossen und ich war gerade dabei, eine Übertragung von Morgan zu beantworten. Er war gerade noch im zweiten Jäger unserer kleinen Flotte, die aus drei Schiffen bestand.

„Ich denke nicht“, erwiderte Cayla. „Ich weiß, wer Martin Browning ist.“

Ich verringerte langsam den Schub. Martin Browning war das Herzstück von all dem, was uns in den letzten Tagen zugestoßen war. In erster Linie war er der Grund für den Angriff der Nova Dogs auf die Station. Der Tod von Hunderten von Menschen konnte direkt auf seine Anwesenheit auf OSP-4 zurückgeführt werden. „Ich fing an, zu glauben, dass es ihn gar nicht gibt.“

„Das tut er auch nicht“, antwortete Cayla. „Das ist nur ein Deckname. Deshalb konnten wir ihn bei unserer ersten Suche auch nicht finden.“

Das ergab keinen Sinn. Viele Gefangene, wenn nicht sogar die meisten, hatten Decknamen. „Ich dachte, die Pseudonyme würden automatisch mit durchsucht.“

„Das werden sie. Das war, was mich stutzig machte. Es gibt allerdings nicht viel zu tun, wenn man als Geisel festgehalten wird und die Tevarin hatten eine direkte Verbindung zum Serverraum. Seine Datei war geschwärzt, aber ich konnte es umgehen.“

Ich hatte bereits vorher versucht, seinen Namen zu finden und Cayla war strikt dagegen gewesen. Was hatte sich geändert? „Ich hatte viel Zeit nachzudenken“, räumte sie ein. „Kilkenny riskiert viel. Mit jeder Minute steigt das Risiko, dass jemand die UEE über seine kleine Operation hier informiert. Aber er ist noch immer hier. Warum? Was macht diesen Browning so besonders? Ich suchte nach ihm, aber nicht, weil ich ihn den Nova Dogs übergeben wollte. Ich dachte, er könnte uns helfen. Und es stellte sich heraus, dass er das bereits hat.“

„Es ist Morgan, oder?“, fragte ich mit kalter Gewissheit in meinem Herzen. Er war einer der einzigen beiden Häftlinge im Hochsicherheitstrakt. Wenn er Browning war, dann hielt er sein Schweigen, während Hunderte von Menschen getötet wurden. Auf der anderen Seite hätten wir es ohne seine Hilfe niemals von der Station geschafft und ohne ihn hätten wir auch niemals die Blockade der Nova Dogs durchbrochen.

„Was sollen wir tun?“, fragte sie.

Ich hatte keine Ahnung. „Weswegen war er inhaftiert?“

„Das konnte ich nicht herausfinden. Dieser Teil der Datei war so stark gesichert, dass ich sie nicht mal mit den Codes öffnen konnte, die mir zugewiesen wurden, als Kilkenny das Kommandodeck zerstörte“, sagte Wyrick.

Ich hörte Morgans Stimme durch das Comm zischen. „Alles in Ordnung, Nylund?“

Ich sah sie an, aber Caylas Gesicht war völlig ausdruckslos. Ich betätigte das Comm. „Alles gut. Konicek ist bei uns. Was ist mit deinem Treibstoff?“

„Halbvoll“, antwortete er. „Ich habe gute und schlechte Nachrichten. Zwei Typen habe ich bereits erledigt, drei weitere habe ich aber im Schlepptau und dieser Frachter steht genau zwischen uns und dem Sprungtor. Kannst du mal aushelfen?“

Ich zögerte nur einen kurzen Moment. Ich konnte Morgans Raketenschweif sehen und drei sich schnell bewegende Sterne, die sich von restlichen Sternenhimmel absetzen und ihm folgten. Der Zielcomputer markierte alle drei, kartierte die Vektoren und analysierte ihre Schwächen.

„Konicek, wir entkoppeln.“ Der Betankungsschlauch wurde irgendwo über mir zurückgezogen und zurück in den Tanker gespult.

„Hier spricht Korporal Smythe, Sir. Mr. Konicek wurde… er starrt seit zwanzig Minuten ins All. Ich habe Angst, ihn wachzurütteln“, kam die Antwort über das Comm. Smythe war einer der Techniker, die Konicek dabei geholfen hatten, den Tanker zu reparieren. Ich hatte ein wenig Mitleid mit ihm und den anderen. „Halten Sie sich von dem Feuerwerk fern. Morgan kommt zum Nachtanken. Sobald er fertig ist, schaffen Sie ihren Arsch hier raus.“

Der dunkle Schatten des Tankers hob ab, drehte sich wie ein Wal und verschwand unter uns.

„Alle angeschnallt?“, fragte ich.

„Bist du dir sicher, was du da tust, Avery?“ fragte Cayla. „Alles was wir tun müssen, ist Kilkenny zu sagen, dass Morgan Martin Browning ist und er lässt uns gehen.“ Der Großteil der Nova Dogs war weit hinter uns, aber bei zwei veralteten Jägern gegen drei moderne Schiffe und einen bewaffneten Frachter standen die Chancen nicht gut. Hinzu kamen ein paar verdächtige Flecken auf dem Langstreckenradar, über die ich nicht weiter nachdenken wollte.

Ich warf die Triebwerke der Cutlass an. Unsere Jäger waren dafür modifiziert, entflohene Häftlinge einzuholen, deshalb wusste ich, dass ich auf meinen Energieverbrauch achten musste, die zusätzliche Geschwindigkeit gab mir in Dogfights allerdings einen großen Vorteil. Ich flog einen großen Bogen und hoffte, die drei Jäger wären so fixiert auf Morgan, dass sie mich nicht von hinten kommen sehen würden. Als es so aussah, als wäre ich ihrer Aufmerksamkeit entgangen, gab ich vollen Schub und eröffnete das Feuer auf sie. Eines der Schiffe explodierte bereits nach wenigen Treffern und die anderen beiden teilten sich auf. Ich drehte nach links ab, um einen davon weiterzuverfolgen und sah, wie Morgan dem anderen hinterherjagte. Nachdem wir sie erledigt hatten, stieß er zum Tanker und begann nachzutanken.

Ich war im Begriff das Comm einzuschalten, als ich merkte, dass es noch angeschaltet war. Ich versuchte mich an die letzte Übertragung zu erinnern, die wir gesendet haben. Niemand hatte während des Kampfes gesprochen. Ich spürte, wie meine Wangen blass wurden. Die letzte Übertragung ging an Korporal Smythe. Das bedeutete, dass Morgan und jeder auf dem Tanker zugehört hatte, wie Cayla ihn als Martin Browning identifiziert hatte.

Meine Hand schwebte über der Comm-Taste. Wir hatten genug Treibstoff, um im freien Raum zu verschwinden, bevor Morgan uns ins Visier nehmen konnte. Wir konnten ihm entkommen, wenn wir jetzt starteten. Ich schaltete das Comm aus und gab Gas.

„Ähm, Avery?“ fragte Cayla vom Rücksitz aus. „Sollten wir nicht auf Morgan und Konicek warten?“

Ich ließ meine Hände, wo sie waren und leitete die Energie auf die vorderen Schilde um. Es würde schwierig werden, allein an Kilkennys gepanzertem Frachter vorbeizukommen, aber wir hatten keine Wahl. Morgan würde uns nicht am Leben lassen, jetzt da er wusste, dass wir sein Geheimnis kannten. „Er weiß, dass wir es wissen.“

„Oh“, murmelte sie. Ich konnte hören, wie sie in ihren Sitz zurückfiel. Sie war schon immer ein helles Köpfchen. Ich war mir sicher, dass ihr klar geworden war, was geschehen war.“

Der Frachter rückte drohend in mein Blickfeld. Das HUD zeigte mir seine Spezifikationen an und hob die böse aussehende Partikelwaffe hervor, die ich auf dem Flugdeck ausmachen konnte. Sie war nicht sehr beweglich, aber sie saß genau zwischen uns und dem Sprungtor und hatte genug Feuerkraft, um jedem, der versuchte, vorbei zu kommen, ein ernsthaftes Problem zu bereiten. „Das wird holprig“, warnte ich Wyrick und prüfte die Schilde.

Plötzlich setze sich der Frachter in Bewegung und entfernte sich vom Sprungtor. Aber nicht in unsere Richtung.

Hallo mein alter Freund, meine alte Nemesis, sagte eine Stimme auf einem öffentlichen Kanal, die ich als Kapitän Martin Kilkenny der Nova Dogs wiedererkannte. Überrascht es dich, dass ich dich als den kenne, der du bist, Martin Browning? Du trägst die Haut eines Piratenkönigs, aber der Mann darunter gehört zur UEE. Ich bin gekommen, um dein Fleisch zu essen und deine Haut zu tragen. Danach werde ich die Königreiche der Piraten an deiner Stelle regieren.

„Er ist es, oder?“ frage Cayla.

„So sieht es aus“, antwortete ich. „Korporal Smythe muss Morgan an Kilkenny verkauft haben. Die gute Nachricht ist jedoch, dass wir offenbar freie Fahrt in das Sprungtor haben.“

Anstatt noch mehr Schub zu geben, schaltete ich die Triebwerke aus und ließ uns treiben. Der Frachter wurde hinter uns immer kleiner. Er war eindeutig zu stark, als dass sich ein einziger Jäger um ihn hätte kümmern können. Meine Hand bewegte sich in Richtung der Schubregelung und ließ sie dann doch wieder sinken. Ich drückte auf die Steuerelemente, blickte zurück über meine Schulter und wieder nach vorne auf das Sprungtor.

Cayla sagte nichts, fragte nicht, warum wir stehen geblieben waren.

„Verdammt“, fluchte ich, als ich das Schiff wendete und den Schubregler bis zum Anschlag drückte.

„Du tust das richtige“, sagte sie.

„Das ist ja großartig. Ich bin heilfroh, dass meine Therapie so gute Fortschritte erzielt“, schoss ich zurück und bereute es sofort. Cayla war inzwischen zu viel mehr als meine Therapeutin geworden. Ich respektierte sie. Nein, es ging sogar weiter als das. Mir fiel das passende Wort dazu nicht ein. Oder zumindest wollte ich nicht zugeben, dass ich es doch wusste.

Morgan war noch immer am Tanken. Smythe musste den Vorgang verlangsamt haben, um ihn hereinzulegen. Meine Konsole leuchtete mit dutzenden Signalen auf, die aus Richtung OSP-4 kamen. Kilkenny hatte seinen Mann gefunden und zog den Sack nun zu. Die Situation spitze sich zu und das ziemlich schnell.

Auf einmal hörte ich einen Schuss über das Comm-System und dann etwas Geraschel. „Du bist fertig, Boss“, sagte Herschel Konicek. Der Verrückte war genau zum richtigen Zeitpunkt wiedererwacht.

„Ich wusste, ich kann auf dich zählen, Herby“, sagte Morgan. Meine Anzeige füllt sich schnell.“ Dann gab es eine Pause. „Hast du dich auf dem Weg zum Sprungtor verirrt, Nylund?“

„Ja, aber wenn ich schon mal hier bin, können wir auch ein wenig aufräumen“, antwortete ich, während ich den Frachter erfasste. Ich feuerte auf ihn, allerdings versuchte er gar nicht erst, auszuweichen. Stattdessen erwiderte die rückseitige Kanone das Feuer und wir waren diejenigen, die zum Ausweichen gezwungen waren. Wir waren schnell, aber ohne Raketen konnte ich dem Frachter nicht genug Schaden zufügen, um seine Schilde zu Fall zu bringen.

Glücklicherweise hatte sich Morgan bereits von dem Betankungsschlauch gelöst und von Konicek abgewendet. Nach einem kurzen Boost war er wieder mitten im Geschehen. Plötzlich wurde ich heftig gegen das Kabinendach geschleudert. Der Sternenhimmel drehte sich um mich und ich realisierte, dass wir von der gewaltigen Partikelstrahlkanone an der Vorderseite des Frachters getroffen worden waren. Während ich Morgan beobachtete, drehte er sich und feuerte. Meine Steuerung reagierte nicht mehr und meine Instrumente waren tot. Mir kam ein schrecklicher Gedanke. „Cayla?“

„Mir geht’s gut“, sagte sie. „Ein wenig durchgeschüttelt, aber gut.“

Ich führte eine kurze Überprüfung der Systeme durch. Unsere Schilde waren aus und wir hatten eine heftige Delle in der Hülle, aber immerhin strömte keine Luft aus und der Reaktor schien, auch wenn er ausgeschaltet war, unbeschädigt. Konnte es die Hauptsteuerung sein? Ich hatte keine Ahnung.

„Wie kann ich helfen?“, fragte Cayla.

„Ich weiß es nicht“, fluchte ich. Ich schlug mit der Faust auf das Armaturenbrett.

Kilkennys Frachter drehte von uns ab und konzentrierte sich auf Morgans Jäger. Schüsse flogen zwischen ihnen hin und her. Der Frachter flog nicht, sondern kämpfte nur. Anstatt Morgans Schüssen auszuweichen, stand er einfach da und ließ sie unbesorgt einschlagen. Er begann in unsere Richtung zu treiben.

Ich fuhr die Systeme neu hoch, danach leuchteten meine Instrumente wieder auf. Waffen und Schilde waren noch immer offline, abgesehen von einer Waffe, die sich ständig ein- und ausschaltete.

Es war der noch vorhandene Teil des Geschützturms, den ich bei meinem Zusammentreffen mit der Station beschädigt hatte.

Wir waren so nah an Kilkennys Frachter, dass wir ihn unmöglich verfehlen konnten.

„Lass sie schießen“, betete ich und drückte den Abzug. Energieschüsse schlugen in den Frachter ein und dann gab es eine helle Lichtexplosion. Wir wurden in unsere Sitze zurückgedrückt und dann wurde alles schwarz, als sich das Kabinendach polarisierte. Als es sich wieder normalisiert hatte, sahen wir die durchlöcherte Hülle des Frachters von uns wegwirbeln.

„Ich dachte, wir wären tot“, sagte Cayla atemlos.

„Noch nicht ganz“, antwortete ich, als ich die Triebwedasrke befeuerte und Morgan in Richtung Sprungtor folgte. Als wir uns näherten, trafen uns zwei Lasertreffer von der Hornet und plötzlich hatten wir keinen Sprungantrieb mehr.

Dann drang seine Stimme durch das Comm. „Keine Panik, aber du und die gute Doktorin müssen in diesem System bleiben, während wir es verlassen, Nylund. Keine Sorge, die Nova Dogs haben nichts mehr, das sie euch hinterherschicken könnten.“

„Warum tust du das?“ fragte ich.

„Das ist nichts Persönliches. Ich kann nur nicht gebrauchen, dass ihr mir folgt. Ein UEE-Team sollte in diesem Moment bereits auf dem Weg zu Supermax sein. Sie werden euch finden, bevor euch die Luft ausgeht. Also bleibt ruhig. Ich bin mir sicher, euch zwei Turteltauben wird schon was einfallen, wie ihr die Zeit überbrücken könnt.“

Und dann verließ er uns. Wir blickten dem hellen Strahl seiner Triebwerke nach, als er in den Interspace verschwand.

„Er hat uns Turteltauben genannt“, sagte Cayla mit einem Hauch Neugier. „Du … ?“

„War da nicht was wegen den Daten deiner Patienten?“ fragte ich und blickte zu ihr.

„Ja“, antwortete sie ein wenig niedergeschlagen. „Ich schätze, da war was.“

Ich hakte meinen Fluggurt aus und inspizierte das Cockpit. Es gab hier nicht viel Platz, aber nach allem, was wir durchgemacht haben, war ich mir sicher, dass wir schon einen Weg finden würden. Ich hob eine Augenbraue und grinste breit. „In dem Fall bist du gefeuert.“

– Ende –


Quelle: RSI
Übersetzung: SCHQ | StarCitizenBase.de (Priar)
Überarbeitung: StarCitizenBase.de (Brubacker)
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