Story: Collision Course

Kapitel 1

Die Luftzirkulation schaltete auf Overdrive und das Gitter, welches den Lüftungskanal bedeckte, begann zu klappern. Mal wieder.

Wie viele Stunden unterbrechungsfreien Schlafes waren es dieses Mal gewesen? Eine? Zwei? Mit immer noch geschlossenen Augen erwog Clara, ob sie versuchen sollte, es zu ignorieren oder nicht, oder ob sie es einfach hinnehmen und aufwachen sollte. Fast schon als Antwort begann ein kribbelndes Jucken damit, sich seinen Weg ihren Arm hinauf zu bahnen. Damit war es klar. Besser aufstehen und etwas tun, als hier zu liegen und zu versuchen, es zu ignorieren.

Sie setzte sich auf und schaute auf ihr Mobi. 4:00 Uhr SET morgens. Sie schaltete den Alarm aus, den sie optimistischerweise auf 7:00 Uhr morgens gestellt hatte und wechselte zu ihren Comms. Keine Antwort auf auch nur einen der Jobs, auf die sie sich beworben hatte.

Mist.

Clara hatte gehofft, dass ihr Gunthers Kontaktaufnahme mit seinen Kontakten einen Vorteil gebracht hätte, aber wie es schien, hatten sich sowohl Crusader Security als auch Blackjack auf ArcCorp darauf versteift, ihr keinerlei Arbeit zu geben. Sie dachte, dass Gilden-Ansehen in Stanton nicht so viel bedeuten würde, aber scheinbar tat es das doch. Oder zumindest wenn es darum ging, mit ihr eine Stelle zu verhandeln.

Sie öffnete das Job Board und fuhr an den Einträgen vorbei, die sie schon gestern durchgeschaut hatte. Sie hatte keine Arbeit mehr gehabt, seit sie vor ein paar Tagen einen Wartungsmechaniker zu einem abgeschalteten Comm Array im Sektor eskortiert hatte. Mittlerweile dauerte ihre „Trockenzeit“ schon so lange, dass sie mit dem Gedanken spielte, selbst ein Comm Array auszuschalten, nur um einen weiteren Eskort-Auftrag zu bekommen. Aber sie wusste in ihrem Inneren, dass, wenn es wirklich irgendwann so schlimm werden würde, sie eher auf Hurston nach Arbeit suchen würde, als zum Outlaw zu werden.

Beim Aufstehen wedelte sie mit ihrer Hand vor dem Lichtschalter herum und zuckte zusammen, als das grelle Oberlicht anging. Der EZ-Hab sah schon ziemlich heruntergekommen aus, seit sie vor zehn Nächten eingezogen war. Sie spülte ihren Mund schnell mit einem halben Schluck schalen Smoltz aus und zog sich weiter an.

Das Gewicht ihrer Pistole beruhigte sie, nachdem sie sie an ihrem angestammten Platz im Hüftholster befestigt hatte. Auch wenn sie das Ding auf Port Olisar nicht abfeuern konnte, mochte sie es, zu wissen, dass sie da war. Außerdem weiß man nie, wann man einen potentiellen Kunden treffen kann. Es lohnt sich immer, professionell auszusehen, dachte sie, als sie ihr Haar glättete und mit der blauen Söldnergilden-Mütze bedeckte. Einen Hut zu tragen ist vollkommen in Ordnung, oder? Es ist die Schuld der Leute, wenn sie falsche Schlüsse ziehen.

Mit geschnürten Stiefeln stopfte sie so viel Müll wie möglich vom Tisch in eine fettige Whammers-Tüte und drehte sich um, um sich auf den Weg in die Station zu machen.

Oder zumindest versuchte sie es. Mit einem Seufzen wedelte Clara mit der Tüte vor dem Bewegungssensor der Tür herum, bis sich dieser endlich dazu entschied, zu reagieren. Wenn EZ-Hab eine Economy-Suite anbietet, dann meinten sie es auch so. Mit dem nächsten Job, so schwor sie, würde sie nach einem Upgrade suchen oder zumindest die extra Credits für den Reinigungsservice bezahlen.

Nachdem sie den Müll in einem Mülleimer entsorgt hatte, bahnte sie sich ihren Weg durch die dünne Ansammlung von Reisenden, die auf ihre Transfers runter zum Gasgiganten warteten, und machte sich auf in Richtung von Garrity Defense.

 

 Kapitel 2

„Ich sage dir, ich kenne mich aus“, sagte Clara. „Mach schon, teste mich.“ „Schau mal, ich bin mir sicher, dass du dich auskennst“, antwortete Diego, der Manager der dritten Schicht bei Garrity Defense. „Aber ich stelle gerade einfach niemanden ein.“

„Teste mich“, beharrte Clara, „und dann kannst du dich entscheiden. Mehr verlange ich doch nicht.“

Die Docking-Gebühren, Versicherung und der Preis, um ihr Schiff bewaffnet, betankt und bereit zu halten, trockneten ihre finanziellen Mittel schnell aus. Nach ihren letzten Rechnungen hatte sie nur noch knapp zwei Tage an Credits übrig, bevor sie entweder damit beginnen musste, in ihrem Schiff zu leben, nichts mehr zu essen oder Schlimmeres. Sie dachte sich, dass wenn sie ein paar Schichten im Verkauf von Waffen und Rüstung bekommen könnte, könnte sie lange genug durchhalten, bis sie richtige Arbeit auftreiben konnte. Sie schlief schließlich eh nicht, also wieso nicht?

Diego, kurz zu ihrer Gildenmütze hochblickend, zuckte endlich mit den Schultern und sagte, „Na schön. Du willst einen Test? Siehst du den Typ da drüben? Er ist ein Shuttle-Pilot. Er ist nur einmal pro Woche auf Port Olisar und verbringt die Hälfte der Zeit damit, auf die Waren zu glotzen, kauft aber nichts. Wenn du ihn dazu bekommst, dass er ein paar Credits ausgibt, können wir darüber sprechen, ob ich ein paar Schichten für dich habe.“

Clara schaute den besagten Mann abschätzend an. Der Undersuit, den er trug, war von höherer Qualität, als irgendein Transfer-Shuttle-Pilot jemals brauchen würde – volle Rüstungsverbinder, leichte EVA-Düsen und am wichtigsten: er war fleckenfrei. Selbst die Stiefel des Mannes sahen unbenutzt aus. Am aufschlussreichsten war aber vermutlich die einfache Tatsache, dass er all das innerhalb der Station trug, während die meisten Leute es gar nicht erwarten konnten, nach einem Flug in ihre normalen Klamotten zu wechseln.

Sie ging neben ihn und betrachtete die Gewehranzeigen an der Wand. Sie ließ einen Moment verstreichen, bevor sie sagte, „Denken Sie darüber nach, sich die S71 zu holen?“

„Ich brauche nichts. Danke“, antwortete der Mann.

„Das ist gut, denn ich arbeite hier gar nicht.“

„Oh, sorry. Ich dachte nur –“

„Nein, ist schon okay. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Clara ging einen Schritt zurück und fokussierte sich auf ein niedrigeres Regal, auf dem einige Zieloptiken präsentiert wurden.

„Sie haben etwas über das S71 gesagt?“, fragte der Mann und zeigte in Richtung des schlanken, schwarzen Gewehrs.

„Ich wollte Ihnen sagen, dass sie es sich nicht holen sollten.“

„Warum?“

„Weil Sie sich zu einem Ziel machen, wenn sie eins davon tragen. Schnallen Sie sich eins davon um und jeder im Raum hält sie für einen ernsthaften Operator. Ich meine, schauen Sie sich das Ding doch an. Es schreit förmlich danach, eine Bedrohung zu sein.“ Clara setzte ihr bestes, in die Ferne blickendes Starren auf und dämpfte ihre Stimme, „Mein Ex-Partner Gunther hatte eins davon. Klar, er hat eine Menge Gutes damit erreicht und yeah, da draußen laufen jetzt ein paar Outlaws weniger rum, aber bin ich der Meinung, dass er noch am Leben wäre, wenn er sich für das Tragen einer kleineren Waffe entschieden hätte? Darauf können Sie Ihren Arsch verwetten.“

Der Mann stand mit offenem Mund da, nachdem sie fertig war.

„Ich weiß, dass ich nicht in der Position bin, Ihnen zu sagen, was sie tun sollen. Aber ich habe mir geschworen, dass, wann immer ich jemanden sehe, der kurz davor ist, denselben Fehler wie er zu begehen, ich ihn warnen würde, wenn ich könnte.“ Plötzlich zwitscherte ihr MobiGlas, um sie auf einen reinkommenden Comm hinzuweisen. „Nun ja, ich muss los.“

Damit drehte sie sich um und machte sich auf den Weg Richtung Tür, zwinkerte Diego jedoch noch zu, als sie an ihm vorbei ging. Sie wartete um die Ecke und öffnete ihr Mobi.

Sie war ein wenig überrascht, zu sehen, dass das Comm von Eckhart Security kam. Sie hatte von der Firma gehört, als sie damals noch für die Gilde arbeitete, aber sie musste nicht mehr über sie, als dass sie die Regeln gerne flexibel auslegten.

Allerdings war ihr Ruf aktuell auch nicht gerade der beste.

Sie antwortete, „Hallo?“

„Yeah, ist da Clara Lin?“ fragte eine schroffe Stimme, die zu einem ähnlich verwitterten Gesicht gehörte. „Ich bin Miles Eckhart.“

Ein Comm von dem Mann höchstpersönlich, dachte Clara. Das ist ja mal etwas Besonderes.

„Ein Freund von dir hat mich heute Morgen kontaktiert und hatte ein paar sehr interessante Dinge zu sagen.“

Sie hatte zurzeit so ziemlich nur einen Freund im Verse. „Gunther?“

„Der ist es. Unsere Wege haben sich vor ein paar Jahren einmal gekreuzt und, um es kurz zu machen, ich schuldete ihm noch einen Gefallen. Ich denke, du bist dieser Gefallen.“

„Sie geben mir einen Job?“, fragte Clara und versuchte, nicht so viel Hoffnung in ihrer Stimme mitklingen zu lassen.

„Entspann dich, alles was ich dir gebe ist ein Bewerbungsgespräch.“

„Was wollen Sie wissen?“ fragte Clara.

Der Kunde von Garrity Defense lief vorbei. Er versuchte, Augenkontakt zu vermeiden, als er sein Tempo erhöhte und um die Ecke bog.

„Nicht über Comms. Da bin ich altmodisch“, sagte Eckhart. „Ich schicke dir meinen Standort.“ Ein Popup zeigte, dass sie Koordinaten erhalten hatte. „Eine letzte Sache noch. Du solltest hier arbeitsbereit auftauchen.“

Die Comm-Verbindung brach ab, als der Manager von Garrity Defense seinen Kopf aus dem Laden steckte und herüber eilte.

„Da bist du also“, sagte Diego. „Was hast du zu ihm gesagt? Er hat ein S71 gekauft samt jeder einzelnen Erweiterung, die wir dafür im Angebot haben. Der Job gehört dir.“

„Danke. Ich melde mich“, sagte Clara und ließ einen leicht verwirrten Diego zurück, als sie sich aufmachte, ihre Ausrüstung zu holen.

 

 Kapitel 3

Clara war noch nie zuvor in Levski gewesen und als sie die Station betrat, hatte sie sofort das Gefühl, dass es eine gute Entscheidung gewesen war. Sie wusste von der People’s Alliance, war aber auch überrascht von ihrer Gänsehaut, als sie die allgegenwärtige Anti-UEE-Stimmung förmlich spüren konnte. Sie hatte nie im Militär gedient und hatte es auch niemals ernsthaft in Erwägung gezogen, Bürgerin zu werden, aber sie war schon außerhalb des UEE gewesen. Und wenn sie zwischen dem Durcheinander da draußen und dem Inneren des Empire wählen müsste, wäre der Ort, wo man jederzeit einen Hamburger und einen Medpen bekommen konnte, der klare Gewinner.

Die riesige Statue eines toten Kindes in der Lobby half nicht gerade dabei, diese Stimmung zu verdrängen.

Die aggressiven Straßenhändler auf dem Basar vermeidend schlängelte sie sich zum Cafe Musain durch, dem örtlichen Wasserloch. Als sie die Treppen hinunterschritt, war sie überrascht davon, wie komfortabel die Bar aussah. Die warme Beleuchtung, die abgenutzten Kunstwerke an den Wänden, der schleichende Geruch abgestandener Stims in der Luft, all das erinnerte sie an Orte, an denen sie…

Clara stoppte diesen Gedankengang energisch. Sie musste sich konzentrieren.

Sie erblickte Eckhart, der an einem hohen Tisch an der Seite der Bar saß. Der Drink, den er hielt, schwappte leicht in seinem Glas, während er sein Mobi durchstöberte.

Clara näherte sich und war kurz davor, sich vorzustellen, als —

„Setzt dich. Ich bin gleich bei dir.“

Clara setzte sich auf den Barhocker ihm gegenüber und wartete. Sie bemerkte seine besonders dicke Jacke und fragte sich, ob sie dem Verstecken von Waffen diente oder ob sie gepanzert war.

„Willst du einen Drink?“ fragte er, während er sein Mobi schloss.

„Passt schon“, sagte sie.

„Gut“, erwiderte er, bevor er einen langen Schluck von seinem eigenen nahm. „Dann lass uns zum Geschäftlichen kommen. Mit welcher Hand schießt du?“

Sie zögerte einen Moment, bevor sie „Links“ antwortete.

„Lass mich sehen.“

Clara hob ihre Hand und streckte sie aus. Miles nahm einen weiteren Schluck, während er zusah. Ihre Hand blieb ruhig.

„Jetzt die andere.“

Einen tiefen Atemzug machend, streckte Clara ihre rechte Hand aus. Das leichte Zittern war sofort zu sehen.

„Nicht gut, aber definitiv nicht das schlechteste, was ich bisher gesehen habe. Bist du clean?“

„Drei Monate“, sagte Clara, als sie ihren Arm senkte.

„Gut.“ Miles öffnete sein Mobi erneut und schickte ihr eine Datei. „Ich habe dir soeben die Details für eine Black Box Rückführung geschickt.“

„Moment, Sie haben mich den ganzen Weg hier her bestellt, nur um auf meine Hände zu schauen?“

„Du wärst überrascht, wie viele Leute ich aussortiere, nur indem ich sie zu mir fliegen lasse“, sagte Eckhart. „Außerdem bin ich der Meinung, dass es bedeutend schwieriger ist, jemanden über den Tisch zu ziehen, nachdem man ihn persönlich getroffen hat.“ Miles trank seinen Drink aus. „Also, einer meiner Klienten hat eines seiner Schiffe verloren und will die Sache vertraulich klären. Ich will, dass du die Flugdaten einsammelst, bevor die Versicherungsfirma dazu kommt. Schau dir die Informationen an und lass mich wissen, ob du das schaffst.“

Clara öffnete den Vertrag und las ihn durch. Er schien ausreichend unkompliziert zu sein. Das Schiff war nahe des Asteroidenfeldes um Crusaders Mond Yela, verloren gegangen. Nicht besonders gefährlich. Nun, nicht gefährlicher als der Rest von Crusader. Die Bezahlung war etwas niedrig und das sagte sie auch.

„Natürlich ist sie niedrig“, antwortete Eckhart. „Das ist nur ein Probeauftrag. Wenn du die Sache erledigst, bedeutet das mehr Jobs und mehr Credits. Vermasselst du es, sind Gunther und ich zumindest quitt. Was sagst du?“

Als sie noch Teil der Gilde war, wäre Clara aufgestanden und gegangen. Es lag nicht daran, dass etwas von dem, was Eckhart gesagt hatte, seltsam klang. Das Erste, was sie als Söldnerin gelernt hatte, war es, auf ihr Bauchgefühl zu vertrauen. Im Moment sagte es ihr, dass Eckhart nicht die Sorte Mann war, mit der sie Geschäfte machen wollte. Es sagte ihr, dass sie einfach nach Olisar zurückkehren und Waffen und Rüstungen an Leute verkaufen sollte, die diese vermutlich nicht brauchen würden.

Dann drückte sie trotzdem auf den „Akzeptieren“-Knopf des Auftrags.

 

 Kapitel 4

Sie beendete ihren vierten und letzten Scan. Abgesehen von ein paar Rest-EM-Signaturen der wenigen Batterien, die noch mit Restladung zwischen den Wrackteilen trieben, war zwischen den Asteroiden alles ruhig. Es war etwas seltsam, eine Mission solo zu machen. Vorsicht war der Schlüssel. In der Vergangenheit war sie mit Gunther für fünf Jahre und mit Jenn und Tal für die letzten beiden Jahre geflogen. Sich in einer Gruppe zu bewegen, bedeutete, dass man immer jemanden hatte, der einem den Rücken frei hielt. Solo war ein ganz anderes Biest.

Sie scannte ein weiteres Mal auf gut Glück und steuerte ihre Buccaneer dann etwas näher an die Masse von Trümmern heran, die einmal eine Constellation gewesen waren. Wer auch immer das war, war äußerst gründlich, das stand fest. Leicht rotierend brachte sie die Scheinwerfer ihres Schiffs auf der verdrehten und zerrissenen Brücke in Position. Die Black Box würde sich vermutlich dort befinden. Clara überlegte, ob sie ihr Schiff komplett herunterfahren oder es für den Fall der Fälle laufen lassen sollte. Sie entschied sie sich dafür, nur das Triebwerk abzuschalten, die restlichen Systeme jedoch angeschaltet zu lassen. Sie redete sich ein, dass es sich dabei um besonnenes Verhalten handelte und nicht um die Tatsache, dass es hier draußen ohne die Lichter des Schiffes ziemlich gruselig wäre.

Sie überprüfte ihren Sauerstoff-Level, die Versiegelungen ihres Anzugs, ihre Pistole und ihr Gewehr, bevor sie den Öffnungshebel des Cockpits zog. Das Glas hob sich und mit einem leichten Abstoßen von ihrem Sitz trieb sie hinaus ins All. In Gedanken drehte sie ihren Schwerpunkt, sodass der helle Ball von Yela unter ihr, statt über ihr lag.

Dem Lichtstrahl ihrer Buc folgenden legte sie etwas Vorwärtsschub auf ihre Düsen und drückte dabei vorsichtig all die kleinen Trümmerstücke zur Seite. Bei der Gilde hatte sie den neuen Mitgliedern immer beigebracht: Dumme Sachen töten dich. Schon damals kamen etwa ein Drittel aller Söldner nicht dadurch zu Tode, dass sie von Outlaws vom Himmel geschossen wurden, sondern von kleinen Dingen wie der Nichtbeachtung des Rest-Sauerstoffs oder dem Vergessen eines zusätzlichen Medpens. Der Job war gefährlich. Kein Grund dafür, ihn noch gefährlicher zu machen.

Clara schaltete ihre EVA-Düsen aus und glitt die letzten paar Meter, bevor sie mit einem sanften, dumpfen Geräusch an die Cockpit-Scheibe der Constellation stieß. Das Schiff ächzte und knarrte, als Metall schabte und sich beruhigte. Sie schwenkte ihre Taschenlampe durch den Innenraum und sah, dass die Black Box immer noch sicher dort verstaut war, wo sie hingehörte.

Nun einen Weg hinein finden.

Sie selbst hatte nie an Bord einer Connie gedient. Wenn sie der Angreifer gewesen wäre, hätte sie vermutlich zuerst auf die Geschütztürme gezielt. Und soweit sie sich erinnerte, waren diese nicht gerade dafür bekannt, mit dem Schiff verbunden zu bleiben, wenn sie in die Luft gejagt worden waren.

Sie rotierte, sodass sie relativ zur Schiffsachse nach oben ausgerichtet war und zog sich dann auf die Brücke hoch. Wie erwartet markierte ein klaffender, zerklüfteter Riss in der Hülle die Stelle, an der sich einst der obere Turm befunden hatte. Clara kletterte mit dem Kopf zuerst in den leeren Geschützturm-Sockel, bis dort hin, wo die Notfallluke die Brücke abgeschottet hatte, nachdem der Geschützturm getroffen worden war. Sie war kurz davor, die Luke manuell zu überbrücken, als sie es bemerkte.

Die Triebwerke eines ankommenden Schiffs.

 

 Kapitel 5

Radu Ghazi ließ sich in der Schlafkoje nieder und wartete, bis sich die Matratze unter ihm angepasst hatte. Er war vom Liegekomfort beeindruckt. Die meisten Schiffsdesigner scherten sich einen Dreck um Matratzen-Stärke. Sie schienen all ihre Zeit, Credits und Aufmerksamkeit in die ansprechenderen

Aspekte der Schiffe zu stecken – die Hülle, die Waffen oder die Triebwerke. Genau die Marketing-Punkte, welche er sie einmal habe nennen hören. Das war damals auf Prime, in irgendeiner Bar, in der zu sitzen er eigentlich keinerlei Grund hatte. Das, was diese Firmen nicht zu begreifen schienen, war aber, dass nach Monaten im Drift eine komfortable Matratze ebenso ein Lebensretter sein konnte, wie eine gepanzerte Hülle.

Der Luftschleusen-Aufzug zischte und öffnete sich. Ein kleiner Mann in einem teuren, aber schlecht sitzenden Fluganzug erschien auf der Aufzugplattform nahe der Schlafkojen. Er drehte sich zu Radu um. Radu feuerte einen Schuss aus seiner Pistole ab. Die Energieladung durchschlug die Scheibe des Helms des kleinen Mannes und verschwand in seinem Kopf. Er sackte zusammen und blieb regungslos liegen. Ein dünner Rauchfaden stieg aus der Wunde auf.

Radu kletterte aus der Schlafkoje, zog die Leiche vom Aufzug weg und warf einen abschätzenden Blick auf die Innenausstattung der Constellation. Er müsste sich vielleicht mal eine Connie kaufen, wenn er die Credits hätte.

Er drückte den Ausstiegsknopf auf dem Lift. Die Plattform wackelte sanft und sank langsam herab.

Draußen begann die Sonne gerade damit, über Daymar aufzugehen. Staubwirbel tanzten im Licht kurz vor Sonnenaufgang. Radu überquerte die Landeplattform und behielt dabei die dunklen Gebäude im Auge, die rund um den Außenposten-Komplex verteilt waren.

Basierend auf seiner Aufklärung war das Ziel immer der erste, der aufstand, also erwartete er keine Zeugen. Aber man sollte auf alles vorbereitet sein. Das ist genau die Art von Flexibilität, die ihn bereits aus einigen kritischen Situationen gerettet hatte.

Radu stapfte in Richtung des zerklüfteten Gipfels, hinter welchem er sein Schiff geparkt hatte. Kies knirschte unter seinen Stiefeln, als er zum naheliegendsten Gebäude zurückblickte. Ein verblasstes Logo von Rayari Inc. war gerade noch unter dem Dreck an der in die Jahre gekommenen Fassade zu erkennen. Er hatte immer mal wieder gehört, wie die Firma im Spectrum erwähnt wurde, aber er hatte keine Ahnung, was sie wirklich taten und noch weniger Ahnung davon, was sie so weit hier draußen machten.

Was musste er getan haben, um hier raus geschickt zu werden?, dachte Radu, als er den Hügel weiter erklomm. Zu versuchen, die Geschichten von Leuten herauszufinden und wie diese im Laufe der Zeit dorthin gelangten, wo sie jetzt waren, war eines seiner Lieblingshobbies. Sechs Jahre in der Bremen-Miliz, während derer er viele Leute kommen und gehen sah, hatten eine Menge Möglichkeiten dafür geboten. Aber das ist schon lange her.

Er erreichte die Spitze des Hügels und ließ seinen Blick kurz über den Außenposten schweifen, um sicherzustellen, dass niemand aufgeschreckt worden war. Das Licht von Stantons Stern war kroch  über den Horizont. Der Mond war friedlich und ruhig.

Radu blickte zurück auf die Constellation, die auf dem Pad wartete, und fragte sich kurz, wie lange es wohl dauern würde, bis jemand die Leiche finden würde. Dann drehte er sich um und ging zu seinem eigenen Schiff hinunter. Die alte Gladius hatte seinem Vater gehört, dasselbe Modell, wie der alte Herr damals im Militärdienst geflogen hatte. Radu und sein Vater hatten sie bei einem Sanierungsverkauf erstanden und zwei Jahre damit verbracht, sie wieder zum Laufen zu bringen. Als

Radu der Miliz beigetreten war, vererbte sein Vater ihm das Schiff. Momente später, nachdem die Flammen seiner Triebwerke eins mit dem Sternenhimmel geworden waren, war der Außenposten wieder still.

Die Credits waren auf seinem Konto eingetroffen, als er in der Umgebung von Grim HEX eingetroffen war. Der zentrale Knotenpunkt der heruntergekommenen Station war in das flackernde Licht des massiven Gemeinschaftsbildschirms getaucht, der über ihm aufragte. Was einst von der Stationsverwaltung genutzt wurde, um Updates, Job-Möglichkeiten, Werbung oder lokale Veranstaltungen anzuzeigen, war nun ein Schmelztiegel aus digitalem Rauschen, fragmentierten Bildern und gelegentlichen Nine Tails Logos.

Er verstand nicht, warum die Outlaw-Gruppe unbedingt die Kontrolle über die Bildschirme haben wollte. Man konnte ja nicht gerade übersehen, wer dort nun das Sagen hatte. Während er sich umschaute, zählte er acht gepanzerte Gangster voller Nine Tails Zeichen, bis an die Zähne bewaffnet und auf Streit aus.

Ein Drogensüchtiger kam aus einem nahen, verlassenen Geschäft gerannt – mit dieser fiebrigen Spannung, die direkt auf einen Hit folgte. Radu schlängelte sich an ihm vorbei und sah ihn in einem entfernten Gang verschwinden. Wie sich zeigte, war Radu nicht der einzige, der ihm nachschaute. Sein Blick kreuzte sich mit dem Starren zweier Hausbesetzer, die zerlumpte, ölbefleckte Kleidung trugen. Ihre Hände zuckten sporadisch. Sie schienen zu warten, ob Radu dem Süchtigen nacheilen würde. Als sich Radu wegdrehte, schlichen sie den Gang hinunter, ihrer Beute hinterher.

Ol‘ 38 war ziemlich leer, also setzte sich Radu auf einen Stuhl am Ende der Bar. Der raue, alte Barmann arbeite heute nicht. Es war nur dieser Bursche da, der lediglich einen schlechten Tag von dem Drogensüchtigen entfernt war, den Radu zuvor gesehen hatte. „Wat darf’s sein?“, fragte er, während er ein dreckiges Glas polierte.

„Gin und Pips“. antwortete Radu.

Der Bursche nickte und begann langsam damit, den Drink zu mixen. Radu konnte nicht anders, als ihm dabei zuzusehen, wie er jede einzelne Flasche auf dem Regal checkte, bis er einen billigen Gin gefunden hatte. Dann prüfte er drei Kühlschränke, bis er eine Dose Pips gefunden hatte. Die Mischung verwirrte ihn noch mehr.

Endlich stellte der Bursche ein Glas mit fast ausschließlich Gin vor Radu.

„Sag mir, ob’s okay ist“, sagte er mit einer Spur Hoffnung.

Radu trank einen Schluck und zuckte zusammen. Es war eine Menge Gin.

„Yeah, sicher. Passt schon.“

Der Barkeeper-Bursche grinste, gab ihm einen Daumen hoch und machte sich dann wieder ans Putzen weiterer Gläser.

Radu öffnete sein Mobi und scrollte durch die Schlagzeilen im Spectrum, fand jedoch fast immer das Gleiche: Angst und Geld – die zwei Motoren, welche die gesamte Menschheit anzutreiben schienen.

„Na, Alter.“

Radu blickte von seinem Mobi auf. Diese Stimme war unverwechselbar. Madrigal war ein Schmalspur-Gangster bei den NovaRiders. Es gab Gerüchte, dass Madrigal einst für CCS gearbeitet hatte, die zivile Abteilung von Hurstons Firmensicherheit. Er wurde aber entlassen, weil er zu gewalttätig war. Schuldeneintreibung war nun seine Spezialität, was Radu unglücklicherweise auf seinem Radar platzierte. Zwei seiner Schläger warteten an der Tür, vermutlich um Radu davon abzuhalten, abzuhauen. „Hey,  Ayrs“, sagte Madrigal, als er sich auf den Stuhl neben Radu setzte. „Gib mir einen Rust.“

Der Bursche hinter der Bar lächelte und verbrachte eine weitere, lange Zeit damit, die richtige Flasche zu identifizieren. In der Zwischenzeit ließ Madrigal einen theatralischen Seufzer ertönen und drehte sein Gesicht zu Radu, der einfach die ganze Zeit geradeaus starrte.

„Ich habe gehört, dass du vielleicht etwas für mich hast.“

„Ja?“, antwortete Radu und nahm einen Schluck von seinem Drink. Das Eis hatte die Potenz des Gins reduziert. Aber vielleicht war es auch der wachsende Ärger …

„Ich habe von einer Person gehört, die von einer Person gehört hat, dass du gerade erst einen Geist-Job erledigt hast.“ Madrigal starrte Radu an, ein selbstgefälliges Grinsen auf dem Gesicht. „Ich meine, du weißt, was ich für ein sozialer Typ bin. All die Freunde, die ich habe.“

Radu sagte nichts. Madrigal beobachtete ihn.

„Ich warte“ sagte er nach einer Weile.

„Die Credits kamen gerade erst rein. Ich wollte sie gerade abschicken.“ Radu öffnete sein Mobi und schickte die Zahlung auf das Dummy-Konto, welches die NovaRiders für ihre Schuldeneintreibung benutzten. Er sah seinem eigenen Kontostand dabei zu, wie er auf einen zweistelligen Betrag abfiel.

„Gut, sehr gut.“ Ayrs stellte ihm ein Glas Rust hin. Madrigal trank ihn auf Ex und überprüfte sein Mobi. Er sah nicht beeindruckt aus. „Sieht nach wenig aus.“

„Mehr haben sie nicht bezahlt.“ Radu nahm einen weiteren Schluck. „Wenn dir der Kurs nicht gefällt, solltest du das mit denen diskutieren.“

Madrigal packte Radu am Nacken und schlug seinen Kopf auf die Bar. Jeder in der Bar sprang bei dem Geräusch auf, niemand unternahm jedoch etwas. Der Barkeeper drehte sich weg, um nach weiteren Gläsern zu suchen, die er saubermachen könnte.

„Lass uns mal eine Pause machen und rekapitulieren. Du schuldest uns etwas, also gehörst du uns. Du hörst auf, uns zu bezahlen? Du stirbst. Du versuchst abzuhauen? Du stirbst. Das gefällt dir nicht? Vielleicht hättest du nicht tun sollen, was du getan hast. Also achte auf den Tonfall, den du bei mir anschlägst. Du bist am Leben, weil du nützlich bist und glaub mir, das kann sich schnell ändern.“ Plötzlich war das selbstgefällige Grinsen zurück. „Alles klar. Gutes Gespräch. Du hast zwei Tage, um uns für diesen Monat zu bezahlen. Ich bin mir sicher, dass dir schon etwas einfällt.“

Madrigal schnappte sich Radus Glas und trank auch das aus.

„Danke für den Drink.“

Madrigal ging. Niemand schaute ihn an, während er die Bar verließ. Die zwei Muskelberge an der Tür folgten ihm.

Radu setzte sich auf. Nach ein paar Augenblicken kam der Barkeeper zurück, als wäre nichts passiert.

„Noch einen?“

Radu schüttelte den Kopf und öffnete stattdessen das Job-Board auf seinem Mobi. Er schaute die zufälligen, anonymen Posts durch, die auf den lokalen Servern lagen. Eine Schlagzeile fiel ihm auf.

„Ich hab’s vermasselt.“

Der Job schien einfach genug zu sein: Einen NavDrive aus einem Wrack holen und ihn löschen. Die Bezahlung stimmte auch, aber da war noch etwas anderes. Das Angebot war mit einem Grad an Verzweiflung geschrieben, die er nur zu gut kannte.

Er nahm den Auftrag an. Augenblicke später fluteten alle relevanten Daten sein Mobi.

Radu schaute in seinem EZ-Hub vorbei, um seinen Fluganzug und seine Waffen zu holen. Durch die Wände an einer Seite hämmerte Speed Grind Musik. Die starke Verzerrung und der treibende Beat überdeckten fast den gellenden Streit auf der anderen Seite.

Er zog am Brustpanzer seiner Rüstung und befestigte ihn, als er plötzlich stoppte. Radu ließ sich auf die Bettkante sinken und betrachtete den winzigen Raum um ihn herum, der sein Zuhause‘ geworden war. Er bemerkte all die winzigen Details. Die alten Fast-Food-Beutel, die sich in der Ecke stapelten, die alten Blutflecken an den Wänden, alles. Er schaute sie an, als ob es das erste Mal sehen würde.

Das Gewicht der letzten sechs Monate lastete plötzlich auf ihm. Er erkannte sich selbst fast nicht mehr wieder. Wie hatte er sich soweit von dem entfernt, was er einst gewesen war?

All die Schuld, die Frustration und der Zorn wirbelten in seinem Kopf herum, bis endlich ein einziger Gedanke an die Oberfläche drang: Es ist Zeit, etwas zu ändern.

Er würde diesen Job erledigen. Was auch immer nötig wäre, um ein bisschen Raum zum Atmen bis zur nächsten Zahlung zu bekommen. Aber er würde diese Zeit nutzen, um zu entkommen. Um einen Weg aus der Schlinge zu finden, die ihn langsam zu erwürgen drohte.

Egal wie sich Radu entschied, er würde frei sein.

 

Kapitel 6

Er schlängelte sich durch die Gänge von Grim HEX, vorbei an den Besetzern, den Nine Tails Killern, den kaputten Türen mit entweichender Atmosphäre und ging zu seinem Schiff.

Vor der Luftschleuse zu seinem Pad warte Madrigal und erleichterte gerade einen anderen, armen Kerl um die paar Credits, die er bei sich hatte. Radu drückte den Knopf für die Luftschleuse und wartete. Madrigal bemerkte ihn. „Sicheren Flug“, rief Madrigal mit einem Schmunzeln.

Der Zyklus der Luftschleuse endete und die Tür öffnete sich zischend. Radu schritt hinein und betätigte den Schalter. Die äußere Tür öffnete sich und enthüllte sein Schiff.

Er klappte die Gewehre zusammen, kletterte auf den Pilotensitz und fuhr die Schiffssysteme hoch. Die MFDs erwachten flackernd zum Leben, während die Motoren zu summen begannen. Er betätigte die Triebwerke und fühlte das erste bisschen Bewegung, als die Landestützen vom Deck abhoben. Er suchte einen freien Korridor. Der Raum um Grim HEX war berüchtigt für faule Outlaws, die es auf einfache Kills von Piloten abgesehen hatten, die sich dort ’sicher‘ fühlten.

Schnell abheben, schnell verschwinden war das Motto. Radu entdeckte eine leere Route aus dem Asteroidenfeld heraus und trieb seine Triebwerke an. Die Beschleinigungskräfte trafen seine Brust und das Schiff zog weg von der Station.

Der leichte Jäger schlängelte sich problemlos zwischen den massiven Asteroiden hindurch, die langsam durch die Leere tanzten. Die Scans waren sauber, aber Radu machte auch visuelle Scans, um einen potentiellen Hinterhalt durch Schiffe mit reduzierter Signatur vorherzusehen. Damit zufrieden, dass er alleine war, gab er die Koordinaten für seine Auffindungsmission ein. Es befand sich noch immer im Asteroidenfeld von Yela, aber auf der komplett anderen Seite, also musste er erst per Quantum Travel am Mond vorbei, bevor er einen geraden Anflugsvektor hätte.

Mit dem ersten Orbitalmarker ausgewählt lud sich der Quantum Drive auf und kickte ihn in die Unschärfe. Das umgebende Stanton System verwandelte sich in Licht-Schlieren und der Antrieb stoppte ihn automatisch. Er positionierte das Schiff auf den nächsten Marker und sprang wieder in den Quantum Travel.

Minuten später erreichte er auf dem Weg zu seinem Ziel wieder den Asteroidengürtel. Die Scans waren sauber, aber Radu verlangsamte trotzdem seinen Flug. Es machte keinen Sinn, in eine Falle zu laufen, falls der Job noch an andere Piloten vergeben worden war. Bald begann er, verstreute Trümmerstücke zu sehen, die ihn zu dem zerstörten Connie-Wrack führten. Er begann einen weiten Rundflug um das Wrack, um sicherzustellen, dass er wirklich allein war.In dem Moment sah er die schäbige Buccaneer, die mit ausgeschalteter Energie davor parkte und mit ihren Scheinwerfern in das Wrack leuchtete. Ein Pilot war nicht zu sehen. Verdammt, dachte er. Ich will heute wirklich niemanden töten müssen.

 

Kapitel 7

Clara blieb so regungslos wie möglich in den Überresten des oberen Geschützturms der Connie stehen. Eine Hand am Hebel für die manuelle Überbrückung der Luke, die ins Innere des halb zerstörten Schiffes führte. Die andere Hand überprüfte die Scans ihres Anzugs. Sie bestätigten ihre Befürchtung – jemand anderes war auch hier.

Plötzlich wirkte die Entscheidung, die Systeme ihrer Bucc laufen zu lassen und das Connie Cockpit mit den Scheinwerfern anzustrahlen, nicht mehr wie eine besonders gute Idee. Sie vermutete, dass sie nicht mehr unbemerkt zu ihrem Schiff zurückkehren könnte, also aktivierte Clara die manuelle Überbrückung der Geschützturm-Luke und betrat den noch vorhandenen Rest der Connie. Zumindest gab sie ihr ein wenig mehr Deckung, um ihre Optionen abzuwägen. Sobald sie drinnen war, schaute sie sich um, um Überraschungen zu vermeiden. Die Schotten waren zugeschlagen, als der hintere Teil des Schiffs weggesprengt worden war, wodurch die Frontsektion größtenteils intakt blieb. Sie entdeckte keine weiteren Hüllenbrüche und komischerweise auch keine Leichen.

Clara schob dieses Mysterium gedanklich beiseite, schwebte in eine dunkle Ecke und zog ihr Gewehr. Sie schaltete die Sicherung aus und zielte mit der Waffe auf die Luke. Sie war der offensichtlichste Zugangspunkt zum Schiff. Vielleicht hätte sie Glück und würde denjenigen, der gerade angekommen war, erwischen, wenn er oder sie durch die Luke kam. Plötzlich drang ein ohrenbetäubendes Pfeifen durch das Comm-System. „Also, das ist ja ein nettes Schiff“, sagte Radu. „Bin selber kein Drake-Typ, aber es wäre auf jeden Fall traurig, wenn dem Schiff etwas passieren würde.“

Radu zielte mit seiner Gladius auf die Bucc, seine Finger um den Abzug gekrümmt. Auf diese Distanz würde die Scorpion GT-215 Gatling seines Schiffes die Bucc innerhalb von Sekunden in Fetzen reißen. Aber der Job bezahlte nur für das Zurückbringen der Black Box der Connie. Keine Bonuszahlungen für Nebenaufgaben. Er zog es vor, sich wenn möglich, nicht die Hände schmutzig zu machen.

„Komm schon, sei nicht scheu“, sagte er über das Comm. „Ich zähle bis fünf und wenn du dich bis dahin nicht zumindest vorgestellt hast, lasse ich meine Frustration an deinem Schiff aus.“

Er wartete einen Moment, immer noch keine Antwort.

„Fünf … vier … drei … zwei … eins -„

„Na schön.“ Clara antwortete widerstrebend über das Comm.

„Gut, da bist du ja. Eine ziemliche Zwickmühle, oder?“

„Kann man so sagen.“

„Nur, damit alles klar ist, dein Schiff liegt genau in meinem Fadenkreuz.“

„Ist mir klar.“

„Ist keine Drohung, nur die Realität unserer Situation. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin nicht auf der Suche nach Ärger.“

„Wonach suchst du dann?“

„Nach der Black Box dieses Schiffes. Den Rest kannst du behalten. Deal?“

Clara wartete einen Moment, um den Eindruck zu erwecken, dass sie darüber nachdachte, „Okay … komm rein und schnapp sie dir.“

„Das Ganze wird schneller gehen, wenn du annimmst, dass ich kein Idiot bin.“

„Na schön. Wie willst du es machen?“

„Du wirst mir die Box bringen.“

Verschiedene Optionen rasten durch ihren Kopf. Fast alle davon schienen unmöglich zu sein. Clara schaute kurz auf ihre Vitalwerte. Ihr Puls war erhöht und die Sauerstofflevel nahmen schneller ab als üblich. Sie versuchte, ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen und konzentrierte sich auf den ersten Schritt, um zu überleben. Sie musste ihr Schiff erreichen.

„Fang jetzt bloß nicht an, mich zu ignorieren. Wir lernen uns doch gerade erst richtig kennen.“ Radu trommelte nervös mit seinen Fingern auf dem Steuerknüppel herum. Ihre Stille bedeutete, dass sie ihm die Sache nicht leicht machen würde.

„Was hält dich davon ab, mich genau in der Sekunde zu töten, in der ich dir die Black Box gebracht habe?“

Radu lächelte. Gut. Sie will kooperieren. „Hör mal, die Tatsache, dass ich nicht sofort das Schiff in Stücke geschossen habe, sollte mir doch ein gewisses Grundvertrauen einbringen. Wenn ich dich tot sehen wollte, wärst du bereits tot. Bring mir die Box und sobald ich weg bin, hat sich die Sache erledigt.“

Clara realisierte, dass er echt hatte. Entweder dieser Typ sagte die Wahrheit oder er war ein doppelzüngiger Bastard. Egal, sie sah nicht viele Wege, die sie nicht als Leiche im Vakuum enden lassen würden. Besser am Leben und pleite als tot und stolz.

„Na gut. Gib mir eine Minute, um die Black Box zu finden“, sagte Clara widerwillig.

„So ist es gut.“

„Du kannst mich Clara nennen“, bot sie an, in der Hoffnung, der Name würde sie menschlicher machen.

„Radu.“

Es war nur eine kleine Geste, aber das Hören seines Namens verbesserte ihr Gefühl etwas.

Clara flog im EVA in Richtung Front der Brücke. Sie starrte aus dem Cockpit-Fenster, um Radus Schiff zu sehen, aber die grellen Lichter ihrer Bucc machte es unmöglich. Also drehte sie sich um und schnappte sich die Black Box.

Sie starrte sie einen Moment an und dachte über ihre nächsten Schritte nach. Auch wenn es gegen all ihre Instinkte ging, aktivierte Clara die Sicherung ihres Gewehrs und befestigte es wieder an ihrem Anzug. Es machte keinen Unterschied, welches Schiff Radu flog. Sie war waffentechnisch unterlegen.

„Hab sie. Komme aus der oberen Geschützturm-Luke.“

Schön langsam und vorsichtig. Keine Überraschungen“, ermahnte sie Radu. Er schwang die Gladius leicht zur Seite und brachte sie direkt über die Connie in Stellung. Augenblicke später stieg Clara langsam aus der Luke auf und drehte sich so lange, bis sie seinem Schiff gegenüber stand.

„Jetzt was?“, fragte Clara.

Radu stellte fest, dass er die eigentliche Übergabe nicht bedacht hatte. Er wusste nur, dass er sie von ihrem Schiff fernhalten musste, bis die Übergabe erledigt war.

„Bring sie rüber.“

Clara hielt ihre Position und starrte auf die Gatling des Schiffes, die auf sie gerichtet war. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie das Gefühl hatte, es könnte in ihrer Brust explodieren.

„Könntest du zumindest nicht direkt mit dem Ding auf mich zielen?“

Radu hielt die Nase des Schiffes, wo sie war. „Du bist sicher genug. Bring einfach die Box rüber, ganz einfach.“

Clara atmete tief ein und glitt langsam in Richtung der Gladius. Jeder Meter, den sie sich näherte, machte es nur noch nervenaufreibender. Ihre Gedanken wirbelten und wiederholten denselben Satz wieder und wieder –

Einfach zu meinem Schiff zurück … Einfach zu meinem Schiff zurück …

„Soll ich das Ding bis zu deinem Cockpit bringen oder was?“, fragte Clara genervt.

„Ich werde dir schon sagen, wann du anhalten sollst.“

Radu beobachte Clara dabei, wie sie immer näher kam. Er wollte, dass sie näher kam, aber nicht so nah, dass sie sich innerhalb der Waffenreichweite seines Schiffes befand.

„Bleib genau da stehen“, sagte Radu schließlich und Clara fügte sich. „Jetzt wirst du die Box loslassen und zur Connie zurückfliegen. Wenn ich und die Box weg sind, kannst du dein Leben weiterleben.“

Clara war nah genug, um Radu im Inneren seines Cockpits zu sehen. Sie wusste, dass ihre Position deutlich weniger sicher sein würde, sobald sie die Black Box losließ.

Wenn sie ihm gab, was er wollte, wie hoch war die Chance, dass sie lebend aus der Sache rauskommen würde?

Radu bemerkte ihre Zurückhaltung. „Wir haben es so weit geschafft, also ruiniere es nicht, indem du was Dummes machst.“

Sie dachte nach. Er wirkte nicht wie jemand, der sie einfach töten würde, aber er hatte recht damit, dass er nicht dumm war. Wenn er ihr ein Schiff ließ, gab es das Risiko, dass sie ihm folgen würde. Nein, er würde sie in der Connie zurücklassen und ihre Bucc hochjagen. Es war die sicherste Option, die er hatte, abgesehen davon, sie einfach auszuschalten.

„Clara. Ich werde nicht noch mal fragen.“

In dem Moment bemerkte sie eine kleine Bewegung seines Arms. Er justierte seinen Schusswinkel. Jetzt oder nie. Die Instinkte übernahmen und sie schwang die Box herum und ließ sie los, als ihr Rücken auf ihr Schiff ausgerichtet war. Die Kraft, mit der die Box ihre Hände verließ, schleuderte Clara zurück in Richtung der Buccaneer. Sie drehte ihren Körper schnell in Richtung ihres Schiffes und betätigte ihre EVA-Düsen. Die Black Box driftete frei und taumelte von ihnen beiden weg. Es dauerte einen Moment, bis Radu realisierte, was passiert war. Er begann damit, sein Fadenkreuz wieder Clara auszurichten, sah jedoch in seiner Peripherie eine Bewegung. Es war die Black Box, die an ihm vorbei glitt.

Ohne einen Moment zu zögern, schwang Radu seine Gladius herum und folgte der Box. Ihm war egal, dass sie entkam, aber all das wäre umsonst gewesen, wenn er ohne die Black Box zurückkehrte. Es war seine letzte Chance, um die nötigen Credits zu verdienen, um Madrigal für diesen Monat zu bezahlen. Das würde ihm etwas Raum verschaffen. Wenn er das vermasselte, hatte er definitiv nicht mehr genug Zeit, um einen ähnlich bezahlten Job aufzutreiben. Radu wusste, dass diese Black Box seine Rettungsleine war – wenn er Madrigal nicht bezahlen konnte, war er so gut wie tot.

Er gierte, um sich an einem Asteroiden vorbeizudrängen, an dem die Black Box vorbeiflog und versuchte, sich in den Weg der Box zu positionieren. Bevor er sich ihrer Flugbahn anpassen konnte, prallte sie an einem Felsen ab und taumelte in eine andere Richtung. Radu startete alle seine Rückwärtsschub-Düsen und passte seinen Kurs erneut an.

In der Zwischenzeit flog Clara so schnell wie möglich zu ihrer Bucc, überrascht davon, dass sie ihr Schiff erreicht hatte, ohne unter Feuer zu geraten. Sie setzte sich hinein und startete die Triebwerke, dankbar dafür, dass sie die anderen Systeme angelassen hatte. Zum ersten Mal schaute sie zurück und sah Radus Schiff dabei zu, wie es durch ein Asteroidenfeld navigierte und der Box folgte. Das sollte ihr genug Zeit geben, um zu fliehen.

Sobald sie in Sicherheit wäre, würde sie umgehend Miles kontaktieren und erklären, was passiert war. Er würde vermutlich sauer sein und sie nie wieder anheuern, aber zumindest war sie am Leben. Sie würde sich diese Nacht wohl keinen EZ Hab leisten können, aber sobald sie wieder in Port Olisar war, könnte sie Diego ja noch mal wegen dem Job bei Garrity Defense ansprechen. Vielleicht wäre es ja gar nicht so schlecht, hinter der Ladentheke zu stehen. Es wäre langweilig, aber sicher. Die Stimme von Claras altem Freund Gunther drang in ihren Kopf. Er behaupte damals, dass Langeweile mehr Leute tötete als Kugeln.

Sie blickte zurück zu Radus Schiff und sah, wie er seine Cockpit-Kanzel öffnete und das blinkende Licht der Black Box, die auf ihn zutrieb. Zum ersten Mal wurde ihr klar, dass nicht nur sie diese verrückte Situation überlebt hatte, sondern auch er. Sie hatte immer noch die Chance, sowohl mit der Black Box als auch mit ihrem Leben davonzukommen.

Dieser Hoffnungsschimmer war alles, was sie brauchte.

Radu strengte sich an, nach der taumelnden Box zu greifen. Er schaute über seine Schulter und sah, wie sich die Buccaneer in seine Richtung drehte. Sie hatte es auf ihn abgesehen. Er schnappte sich die Box mit einer Hand und zog sie in seinen Schoß. Keine Zeit, die Cockpit-Kanzel zu schließen, schwang er den Steuerknüppel genau in dem Moment, als die Bucc das Feuer eröffnete. Der Schild der Gladius flackerte auf und absorbierte die Schüsse. Die Stimme des Aegis-Assistenten erzählte ihm, was er bereits wusste – die Frontschilde waren in kritischem Zustand und er sollte sein verdammtes Cockpit schließen. Er musste Deckung finden und zwar schnell. Er duckte sich, als sich die Kanzel über ihm schloss.

Radu steuerte die Gladius in Richtung eines großen Asteroiden und schwang sie gekonnt in Deckung. Er musste nur in das Asteroidenfeld entkommen und dann per Quantum Drive woanders hinspringen. Aber bevor er überhaupt nach einem geeigneten Quantum Travel Ziel suchen konnte, gerieten seine rückwärtigen Schilde unter Feuer. Er brach die Suche ab und konzentrierte sich darauf, sich zwischen den Asteroiden hindurch zu schlängeln, um am Leben zu bleiben.

Clara blieb dank der zwei massiven Triebwerke der Buccaneer in Reichweite. Sie beobachtete Radus Gladius dabei, wie sie Asteroiden umkurvte. Sie wusste, dass er so flog, um seinen Schilden Zeit zu erkaufen. Sie im Angriffsmodus, aber plante ihre Schüsse, um ihre Munition nicht zu schnell zu verbrauchen. Es war schon länger her, seit Radu zuletzt in einem Dogfight verwickelt war. Die meisten seiner letzten Jobs endeten leider von Angesicht zu Angesicht, also fühlte er sich überwältigt vom gleichzeitigen Beobachten seiner Scans und der Asteroiden.

Die große Box auf seinem Schoß machte die Situation auch nicht besser. Es war schnell klar, dass Clara der bessere Pilot war. Seiner Erfahrung nach gab es nur eine Sache, durch die man einen besseren Piloten schlagen konnte – etwas total Unerwartetes tun.

Ohne lange darüber nachzudenken, senkte Radu plötzlich die Nase seines Schiffes nach unten aus dem Asteroidenfeld heraus und rollte dann nach rechts. Die kalten, blau-grünen Farben von Yela füllten sein Sichtfeld aus und lenkten ihn kurzzeitig ab. Er hob die Nase wieder in Richtung des Schutzes des Asteroidenfelds, als seine rückwärtigen Schilde wieder unter Feuer gerieten. Die Bucc war beweglicher, als er erwartet hatte.

Der Aegis-Stimmen-Assistent versicherte ihm ruhig, dass seine rückwärtigen Schilde offline waren. Er fühlte, wie das Schiff wackelte und stotterte. Die Hülle nahm Schaden. Er blickte auf das Kontroll-Display, um zu überprüfen, ob etwas Wichtiges getroffen worden war. In dem Moment bemerkte er, dass sein Quantum-Fuel-Tank sich schnell leerte und damit auch seine Chance sank, schnell zu entkommen.

Clara fluchte in sich hinein. Entweder hatte Radu einen Tick, der zehnmal schlimmer als ihr eigener war oder er flog unberechenbar, damit sie ihre Raketen nicht aufschalten konnte. Er konnte definitiv fliegen, aber nicht gut genug, um sie abzuschütteln. Dann endlich hatte sie die Raketen-Aufschaltung, doch Radu erreichte in diesem Augenblick den Rand des Asteroidenfeldes. Sie feuerte die Raketen trotzdem ab.

Die Gladius warf als Reaktion Chaffs ab. Augenblicke später gab es eine Explosion und eine Trümmerwolke breitete sich vor Clara aus. Sie nahm ein wenig Schub weg, um nicht mit voller Geschwindigkeit in die Brocken zu fliegen. Sie schaute kurz auf ihre Scans, konnte Radus Schiff jedoch nicht mehr sehen. Ich glaub´s nicht, ich habe es geschafft …

Genau in dem Moment, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss, flitzte etwas über ihre Scanner Richtung Yela. Sie blickte noch mal auf die Trümmerwolke vor sich, sah jedoch keine Schiffsteile. Ihre Rakete musste stattdessen einen Asteroiden getroffen haben. Clara überprüfte ihre Scans ein weiteres Mal. Da nichts anderes in dem Bereich erschien, drehte sie ihr Schiff und ließ ihre Triebwerke aufflammen, um die Verfolgung aufzunehmen. Du gibst nicht auf, oder? dachte Radu, als er die Bucc dabei beobachtete, wie sie sich aus dem Asteroidenfeld löste und ihn in Richtung von Yelas Oberfläche verfolgte. Immerhin gab die Entfernung den Schilden seines Schiffes die Chance, sich wieder aufzuladen. Seine Gladius zitterte, als sie in Yelas obere Atmosphäre eintrat. Er war dieses Manöver oft genug geflogen, um zu wissen, dass dies nicht normal war.

Als er Richtung der Oberfläche flog, wurde das Schütteln nur noch schlimmer. Er fürchtete, dass jeden Moment der linke Flügel seines Schiffs abreißen würde. Er hatte geplant, auf Yelas dunkler Seite zu landen um sich zu verstecken, aber einfach mitten im Nirgendwo zu landen, schien keine gute Idee mehr zu sein. Wenn er sein Schiff dann nicht mehr starten könnte, wäre er geliefert. Yelas nächtliche Temperaturen waren brutal niedrig. Er würde einen Außenposten finden müssen.

Radu atmete einmal aus, als die Gladius ihren Atmosphäreneintritt beendet hatte, ohne einen Flügel zu verlieren. Er schüttelte seinen Kopf, während er seine Scans betrachtete. Die Bucc verfolgte ihn immer noch. Er öffnete seine Karte und begann mit der Suche nach dem nächsten Außenposten. Sein Mut sank, als er sah, dass der nächste Außenposten nicht mal in der Nähe war. Er bezweifelte, dass er sein Schiff dort hin lenken könnte, bevor Claras Bucc ihn einholte.

Er schaute aus dem Cockpit und suchte den pechschwarzen Horizont ab. Yelas Ring hing am Himmel genau über dem Horizont, mit Crusader, der darüber saß. Beide waren hell und wunderschön. Radu zwang sich zu konzentrieren und suchte den Horizont weiter ab. Seine Augen erfassten schließlich das matte Licht eines Außenpostens. Er überprüfte nochmals seine Karte, aber an dieser Position war nichts eingezeichnet. Seine Gladius zitterte und würgte kurz ab, bevor sie wieder anlief. Radu wusste, dass er nicht mehr lange Zeit hätte. Er würde landen und es zu Fuß versuchen müssen.

Wo war er hin? Der Punkt war von Claras Scans verschwunden. Sie hatte erwartet, dass er tief fliegen und einen Canyon für Deckung suchen würde, aber sie wäre nah genug gewesen, um die Signatur des Schiffes aufzufangen. Sie flog über einen Kamm und sah ein schwaches Licht unter sich. Das musste er sein.

Clara senkte die Bucc. Inmitten einer kleinen Ebene, die von Bergen umgeben war, befand sich ein kleiner, kaum beleuchteter Außenposten. Als sie sich näherte, entdeckten die Scheinwerfer der Bucc eine kleine Rauchfahne, die von einer Gladius aufstieg, die in der Nähe notgelandet war. Das Schiff sah nicht so aus, als könne es noch vom Boden abheben, aber Clara wendete die Bucc trotzdem in seine Richtung. Sie beschien es mit den Schiffsscheinwerfern und sah, dass es verlassen war. Sie entlud eine Kugelsalve in die Gladius, um sicherzustellen, dass sie nirgendwo mehr hinflog. Sie drehte die Bucc dann in Richtung des Außenpostens und näherte sich langsam. Sie zielte auf die Außenposten-Tür und betätigte dann ihr Comm.

„Willst du raten, wie viele Raketen man braucht, um diesen Außenposten zu zerstören?“

„Lieber nicht“, antwortete Radu, der aufgrund seines Spurts immer noch schwer atmete. Er hatte es durch die Luftschleuse des Außenpostens geschafft und war sofort zu Boden gegangen. Sein Rücken hatte er gegen die Wand gedrückt, mit der Black Box der Connie noch immer auf seinem Schoß.

„Nun, wenn du es nicht herausfinden willst, bringst du mir besser diese Black Box.“

Radu schüttelte seinen Kopf, erschöpft, „Ich kann nicht.“

„Ich habe gesehen, wie du sie dir geschnappt hast.“

„Darum geht es nicht. Ich brauche die Credits. Wenn ich sie nicht bis morgen habe, bin ich tot. Warum interessiert dich das?“ Radu zog sich auf die Beine und wagte sich am offenen Metall-Sicherheitstor vorbei und tiefer in den Außenposten hinein.

Es herrschte eine ziemliche Unordnung, aber jemand war kürzlich hier gewesen. Halb aufgegessene Big-Bennys-Verpackungen bedeckten einen Metalltisch in der Mitte des Raumes. Unzählige weitere Boxen waren auf Metallregalen gestapelt. Ballistische Schiffsmunition war auf den Arbeitsplatten ausgebreitet und über den Boden verstreut, wo eine Box umgekippt war. Er blätterte kurz durch einige der Papierfetzen, die verstreut herumlagen.

Außen in der Bucc starrte Clara auf die Tür des Außenpostens und suchte nach der Antwort auf eine andere Frage: War es Radus Leben wert, um Eckharts Wohlwollen zu erlangen? Die Wirkung des Adrenalins aus dem Dogfight und der Verfolgung ließ langsam nach und die Erschöpfung setzte ein. Alles was sie als Antwort aufbringen konnte, war die Wahrheit. Ich kann den Job nicht vermasseln. Er ist meine letzte Rettungsleine für etwas Respektables. Mir sind die letzten Chancen ausgegangen und ich brauche endlich mal etwas, was mich voran bringt. Bis du aufgetaucht bist, hat es sich sogar so angefühlt.“

Im Inneren des Außenpostens öffnete Radu den Deckel einer Kiste, die er in der Ecke gefunden hatte. Dann schaute er sich den Raum noch einmal intensiv an. Dort, zwei weitere, baugleiche Kisten auf der anderen Seite des Raumes. Plötzlich machte es Klick und er wusste, was er zu tun hatte.

Radu ging zu der Black Box rüber und hob sie auf. Dann aktivierte er sein Comm. „Ich komme raus und bin nicht bewaffnet. Bitte nicht schießen.“

Er stellte sich in die Luftschleuse und aktivierte sie. In ihrer Bucc umklammerte Clara den Abzug, nur um sicher zu sein. Sie beobachtete Radu dabei, wie er mit der Black Box in der Hand hinaus schritt. Er ging zum Fuß der Außenposten-Treppe und stellte die Box auf den Boden.

„Sie gehört dir“, sagte er. „Ich gehe wieder rein, sodass du nicht befürchten musst, dass ich dein Schiff stehle.“

„Aber warum?“, war alles, was Clara herausbrachte.

„Du hast gesagt, dass du eine letzte Chance brauchst. Nun, ich brauche deutlich mehr, um aus der Lage herauszukommen, in der ich mich derzeit befinde. Wie es klingt, wird dir das Ding eher helfen als mir.“

„Bist du sicher?“

Radu nickte und ging wieder zurück in den Außenposten. Clara saß da, unsicher, ob es sich nicht doch um eine Falle handelte. Dann aber kletterte sie aus ihrem Schiff, überbrückte vorsichtig die Distanz und schnappte sich die Black Box. Sie kehrte zu ihrem Schiff zurück und betätigte das Comm.

„Danke … soll sich dir Hilfe schicken oder so?“

„Mach dir darüber mal keine Sorgen. Vermutlich ist es besser, wenn du verschwindest, bevor du in meine Situation verwickelt wirst.“

Clara fühlte sich verpflichtet, zu fragen, was er meinte. Aber er gab ihr diesen Ausweg. Wer wusste schon, was passieren würde, wenn sie ihn nicht wahrnahm. Damit hob Clara ab. Die Bucc verschwand in der Nacht.

Radu öffnete sein Mobi und kontaktierte Madrigal. Irgendwann nahm der NovaRider-Vollstrecker das Gespräch an.

„Nun, nun, schau mal wer da ist. Hast du meine Credits?“

„Tatsächlich habe ich angerufen, um einen Deal auszuhandeln.“

„Yeah, ich mache keine Deals.“

„Wirst du aber, nachdem du gehört hast, was ich anzubieten habe.“

„Oh ja? Und was wäre das?“

„Details über ein Nine Tails Lagerhaus. Ich denke, wenn ich dir die liefere, dürften meine Schulden vollständig beglichen sein, oder?“

Radu verstand die Stille als gutes Zeichen.

„Wie kann ich sicher sein, dass es ist, was du behauptest?“

„Weil hier der zweite Teil des Deals kommt – du wirst mich sofort beim Lagerhaus abholen kommen. So kannst du es selbst sehen. Ich weiß nicht, wie hoch der Marktpreis von SLAM zurzeit ist, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ein paar Kisten davon deine Chefs ziemlich glücklich machen dürften.“

Radu drehte sich um und verließ den Außenposten.

„Du beeilst dich aber besser. Bei dem Tag, den ich hatte, weiß ich nicht, was als nächstes passieren könnte.“ Radu beendete das Gespräch und machte sich auf den Weg zu den Überresten seiner Gladius, in der Hoffnung, dass sein Ersatzgewehr noch intakt war.

– ENDE –


Quelle: RSI
Übersetzung: StarCitizenBase.de (Sintoxic)
Überarbeitung: StarCitizenBase.de (Brubacker)
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